Infanta (German Edition)
laut über den passenden Hintergrund nach. Seine Kulisse mit dem nächtlichen Panorama von Manhattan wäre zu unruhig. Palmen und Strand vielleicht zu gewöhnlich, ebenso Blumen oder der Sonnenuntergang. Bliebe nur seine weiße Wand. »Schlichtheit!« rief er und traf alle Vorkehrungen für die Beleuchtung. Als das Licht endlich mit Hilfe von Silberfolien und Schirmen, mittels Filtern, Brechungen und Zusatzquellen Adaza zufriedenstellte, erklärte der Fotograf seine Absichten. Er strebte ein Triptychon an. Das schwärmerisch Jünglingshafte, das zeitlos Weibliche sowie das männlich Geistige; aber auch die beiden Landeskinder und der Vertreter der Nordhalbkugel schwebten ihm vor. Er tupfte den dreien die Stirn ab und blies einen schweißbindenden Puder auf ihre glänzenden Nasen. Dann gab er Anweisungen für die Blickrichtung und den Grad eines Lächelns, für die Stellung der Hände und Haltung des Kopfes, empfahl auch, an etwas Erhabenes zu denken, etwa an Christus den Erlöser, und belichtete die erste Platte. Er belichtete alle Platten, die er vorrätig hatte, ein Dutzend, und wollte sich auch auf Fragen hin nicht festlegen, wann die Fotos fertig seien. Adazas Meisterschaft zeigte sich erst im Verbessern der Bilder, in ihrer sachten Verwandlung. »Ich denke, nach der Wahl«, sagte er und meinte damit das Ende der Stimmenauszählung; er dachte in Wochen, und was den Auftrag für das Präsidentenporträt anging, sogar in Jahren. Ein Künstler.
Augustin drängte schließlich. Er mußte sein Schiff erreichen. Eine halbe Stunde nach der letzten Aufnahme fuhr er auf dem Dach eines überfüllten Jeepneys nach Cagayan de Oro ab und bekräftigte winkend, was er den beiden Mitfotografierten noch anvertraut hatte – eines Tages werde er als Missionar nach Infanta zurückkehren, sie dort als Eltern schöner Kinder antreffen und lange Abende mit ihnen verbringen; man werde sich die Bilder anschauen, die Adaza gemacht habe, und sich von den Priestern erzählen, die damals so weise gewesen seien, ihn heimzuschicken, damit er sich bessere.
Abschiedsworte, über die Kurt Lukas und Mayla mit keiner Silbe sprachen. Sie hatten die Hauptstraße überquert und waren in einen Seitenweg gebogen. Mayla rauchte und redete zwischen den Zügen. »Ich habe vorhin meinen Lebenslauf auf die Post gebracht«, sagte sie. »Eine Seite. Ohne Adjektive, so wollte es der Bischof; ich werde seine neue Sekretärin. Angel hätte nicht anders gehandelt. Ich tue, was ich kann. Und du? Hast jemandem am Telefon von hier erzählt, nicht wahr?« Sie blieb stehen und wartete auf eine Erklärung. Er gab sie ihr, hielt sich sogar an die Wahrheit und spürte plötzlich Maylas Hand im Kreuz. Sie lenkte ihn in ein Hüttengewirr, ein Durcheinander von Stauden und Brettern, von Wucherndem und Zusammengeflicktem. Sie kamen an grauweißen Hunden vorbei, die bis zum Bauch in Abfällen standen, leere Mehlsäcke mit Köpfen, und sahen Männer reglos im Halbschatten sitzen, Kassettengeräte im Arm wie silbrige Kinder, stiegen über apathische Schweine und gingen um stehengelassene Mopeds herum. Ein schlafendes Barrio. Er wüßte gar nicht, wie er das erzählen sollte. Und wem überhaupt? Er hatte keinen Stammtisch. Er kannte nur Frauen, die ihm zuhörten, bei einfachen Themen. Mode, Filme, Reisen. Doch wie erzählte man von einer Wanderung durch den Schlaf; und wie erzählte man ihnen von Mayla. Wie erzählte man einer Frau von einer Frau. Ernsthaft? Spaßig? Verklärend? Und welcher Frau denn eigentlich. Vielleicht Beatrice. Aber nur telefonisch. Die Entfernung Rom-Mailand war ideal für ihr Verhältnis. Dann fiel ihm noch Elisabetta Ruggeri ein, sie stellte reizvolle Fragen. Denken Sie, daß Sie schnell genug vor sich davonlaufen könnten. Und trotzdem wollte er ihr nicht erzählen, wie ihn eine Mayla durch diese Stille führte, über Rinnsale aus flüssiger Scheiße und Tierblut. Staub schluckend und gebückt gingen sie unter überhängenden Blättern, vorbei an hockenden Burschen, die einen Hahn hielten, ihn streichelten und streichelten. Nicht erzählen, wie Mayla ihn führte, ohne ihn anzufassen, ohne auch nur ein Wort zu sagen oder einen Schritt voraus zu sein; wie das Durcheinander sich lichtete und sie auf einen Weg stießen, den er kannte, wie sie noch ein kurzes Stück liefen und dann vor Gussmanns Laden standen, vor einer veränderten Dekoration. An Stelle der Liebes- und Dämonenheftchen hingen nur fünf Exemplare von Newsweek an den Schnüren, alle
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