Infanta (German Edition)
er ist zur Rückkehr entschlossen.«
Aber Kurt Lukas war nicht zur Rückkehr entschlossen.
Er hatte das Geld in der Überzeugung genommen, es stehe ihm zu. Er sah darin ein Stück Wiedergutmachung für alles, was er erdulden mußte. Siebzig Pesos, die zu den anderen Zuwendungen kamen. Mit schöner Buchhaltermiene addierte er die Beträge, die ihm in letzter Zeit förmlich aufgedrängt worden waren – genau zweihundertfünfzig Pesos; das Tischgespräch ging über ihn hinweg.
Doña Elvira beantwortete Fragen. Sie sagte Oh, ja, wiegte den Kopf oder schwieg. Ob sie je ein Konservatorium besucht habe, Butterworth. Ob der Nackttanz im Programm der Bude unbedingt erforderlich sei, McEllis. Ob es zutreffe, was man sich über ihre Garderobe erzähle, Horgan. Ob sie an eine Karriere in Amerika denke, Pacquin. Ob sie nicht wenigstens eine Überholung ihrer Musikanlage in Betracht ziehen wolle, Butterworth. Ob ihr bekannt sei, daß Pio De Castro sie Hebamme des Dunklen genannt habe, McEllis. Ob man ihr Alter erfahren dürfe, Pacquin. Ob sie eine Revolution begrüßen würde, Horgan. Ob ihr gedient wäre, wenn er ihr ein Buch mit auf die Reise gäbe, Dalla Rosa.
»Und ob mir gedient wäre«, sagte sie und gewann auf der Stelle sein Herz; Dalla Rosa bat sie zur Bücherwand und empfahl Anna Karenina. Er entnahm das Buch, drückte es ihr in die Hand und bekam es zurück. Es wiege soviel wie zwei Kleider, und ihr Gepäck habe schon Übergewicht. »Also etwas Schmales«, sagte Dalla Rosa. Er zierte sich ein wenig, sah sich nach den anderen um und griff dann in ein Fach mit hinterer Reihe, fand sofort, was er suchte, und reichte ihr Lampedusas Sirene. »Ein vollendetes kleines Werk, Madam.« Dalla Rosa strich über den Einband aus Packpapier und wollte gerade auf den Inhalt kommen, da drängte Narciso zum Aufbruch. Pacquin bat um Geduld. »Abreisende überzeugen sich gern ein letztes Mal, ob sie nicht etwas vergessen haben. Wir schicken nichts nach.«
Kurt Lukas ging noch einmal in die Kammer. Er sah sich um. Der Boden war gefegt, das Bett glattgestrichen, die Jalousien heruntergelassen. Nur der Aschenbecher war noch nicht geleert. Er begann die Stummel zu zählen und wurde nicht fertig; wieder und wieder verzählte er sich wie in einem quälenden Traum. Bis McEllis erschien.
»Die übrigen sind schon vorm Haus, Mister Kurt, es wird Zeit.« Der Priester stopfte seine Pfeife. »Aufgrund meiner Einladung haben Sie nicht nur Angenehmes erlebt. Sie haben sogar zwei graue Haare im Nacken bekommen. Aber ich werde Sie dafür nicht um Verzeihung bitten.« McEllis redete mehr zu sich selbst und ging dabei mal etwas langsamer als Kurt Lukas, mal etwas schneller. »Oder wollten Sie, wir hätten uns nie getroffen?« Er entzündete mit geglückter Bewegung ein Streichholz, steckte die Pfeife an und bekam keine Antwort. Sie gingen nach draußen. Die anderen warteten vor der Veranda, um Horgans Stuhl geschart. Jeder fand noch ein Abschiedswort. Das Gästebett werde bezogen bleiben, Pacquin. Vier Hände könnten einen Bücherberg rascher sortieren, Dalla Rosa. Es wäre sträflich, West-Virginias Junge zu verpassen, McEllis. Mayla werde warten, Butterworth. Er biete jederzeit Revanche, Horgan.
Kurt Lukas stieg in den Wagen; er schaute sich um und sah die Priester vor ihrer erhellten Veranda, alte Fünflinge, eine Hand in Augenhöhe, winkend. Kein Segen war das und kein Abschied, eine Bewegung dazwischen, wie Sterbende und Neugeborene sie machen.
3
E lisabetta, eigentlich Elisabeth Ruggeri – groß, dunkelblond, eher auffallend als schön –, saß unter einem Mangobaum und schnitt Artikel aus. Sie hatte dort ihren Tisch, genügend Schatten, einen Blick und Ruhe. Vor ihr lagen Stapel von Zeitungen und ein Schreibheft; es enthielt Notizen für ein Buch über Momente des Glücks.
Seit dem Frühstück hatte sie gelesen und auf die weite Bucht vor der Hauptstadt gesehen. Der Hotelpark reichte bis ans Meer, und das Meer verlor sich, glatt und weißlich, zwischen Flugzeugträgern und Tankern. Schwacher Wind schob welke Blätter über den Rand des Schwimmbeckens und brachte den Geruch heißer Blechdächer und die Düfte eines Buffets. Widersprüche lagen in der Luft, Elisabeth Ruggeri besaß dafür ein Gespür. Dieses Gespür war einer der Gründe, warum sie im Auftrag einer römischen Wochenzeitschrift über die Tapfere Witwe schreiben sollte. Dazu kam, daß sie eine Frau war, und vielleicht spielte auch der unnatürliche Tod ihres Mannes eine
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