Infanta (German Edition)
Rolle. Von Tag zu Tag wartete sie auf einen Termin mit der Politikerin, in der viele schon die Gewinnerin sahen. Die Wahl hatte bisher keine Klärung erbracht. Teilergebnisse wurden mal als Sieg der Regierung, mal als Sieg der Opposition gefeiert; alle Machtverschiebungen blieben verborgen. Elisabeth Ruggeri hatte deshalb mit Kommandeuren und Polizeichefs telefoniert, mit Botschaftern, Bischöfen und einem Zuckerrohrkrösus und rechnete mit Revolution. Diese Folgerung beruhte allerdings auch auf Interesse: Sie hatte noch keine Revolution erlebt. Ein Kellner kam mit einem Brief. Kleiner Umschlag, kleine Karte, kurzer Text; das klassische Billett. Seit heute wohnen wir im selben Hotel, Kurt Lukas. Fast gleichzeitig zog sie zwei Schlüsse. Kollegen, die nichts mehr erwarteten, waren vorzeitig abgereist, er hätte sonst kein Zimmer bekommen. Zweitens: Ihr stand eine Affäre bevor. Elisabeth Ruggeri schaute sich um.
Journalisten aus vielen Ländern lagen rund um das Bekken auf Polstern und Liegen, benommen vor Sonne und Untätigkeit. Es hätte sie etwas gestört, ihn in dieser eingecremten Riege zu sehen. Menschen, die sich bräunen ließen, erregten ihr Mißtrauen – vielleicht spürte er das und vermied es darum. Seit dem Abend auf seiner Terrasse traute sie ihm traumwandlerische Aufmerksamkeit zu. Damals schrieb sie an einem Artikel über männlichen Stil und hatte ihn vor allem besucht, um seine Einrichtung zu sehen. Aber die teuren und verstreuten Gegenstände – Bilder, Sofas oder ausgetüftelte Lautsprecher, die zahllosen Kissen, Kassetten und Schallplatten –, dieses ganz auf Beruhigung und Schlaf abgestimmte Interieur hatte sie dann viel weniger interessiert als seine Art, ihr einfach wortlos gegenüberzusitzen. Elisabeth Ruggeri stellte sich vor, daß er im Augenblick auch so in der Halle säße. Abwartend.
Der Gedanke lag nahe. In der ganzen Stadt gab es dafür keinen geeigneteren Ort. Die Halle des Luneta Hotels hatte alle Vorzüge einer Kathedrale, gedämpftes Licht, Weite und Kühle, ohne die Nachteile von Benehmensregeln. Und das bei Musik. Auf einem angestrahlten Podium spielte ein Pianist Tag und Nacht Evergreens. Er schien nie zu schlafen oder zu essen, besaß dabei einen kraftraubenden Anschlag und murmelte nach jedem Lied, This is the tropical touch . Elisabeth Ruggeri hörte ihm gern zu, wenn sie ihre Abende mit vorsichtigem Trinken verbrachte. Ihre Menge waren vier Scotch mit Wasser. Trank sie mehr, entspannte sich ihr Gesicht, und sie wurde umworben. Eindeutige Anträge wies sie durch ein stummes Lachen zurück. Ehe sie zu Bett ging, streifte sie noch durch alle Wandelgänge und entdeckte dabei immer wieder Neues.
Der Bau bestand aus alten und hinzugefügten Teilen, aus Dependancen, Zwischengeschossen und Aufstockungen, er war nur akustisch ein Ganzes; bis in den entferntesten Nebenflügel drangen die Evergreens. Überall gab es verborgene Lautsprecher. Wie Wäscheränder zeichneten sie sich auf den Tapeten ab. Setzte die Musik aus, rieselten Kalkkörner. Spiegel und gegenstandslose Bilder bedeckten abgeplatzten Putz und Schwamm, Feuerwehrschläuche lagen bereit. Wie in jedem Hotel hatte Elisabeth Ruggeri die Hinweise auf Fluchtwege gelesen. Sie widersprachen sich in wesentlichen Punkten; wahrscheinlich patrouillierten deshalb so viele Sicherheitskräfte. Wer keine Kamera oder kein Schreibgerät bei sich hatte, trug eine Maschinenpistole. Es wimmelte von kindischen Männern. Aus den Spielnischen tönte von früh bis spät das Düdel-lüdel-lüt kleiner Weltkriege, und der Pianist brachte immer wieder das trotzige My Way. Dazu kamen die sichtbaren Zeugnisse. Brandlöcher im Teppichboden und leere Tablettenschachteln. Zerknüllte Notizen. Reste aus Elektrorasierern. Zehnstellige Telefonnummern auf Speisekarten. Umgestürzte Gläser. Eingeschleuste Huren.
Elisabeth Ruggeri hielt Abstand zu ihren Kollegen. Geboren und aufgewachsen in Deutschland, suchte sie in Rom, trotz zahlloser Bekannter, nach wie vor Anschluß. Kurt Lukas’ Kärtchen machte sie froh. Sie hatte ihn unterschätzt. Er war keins dieser Phantome, die auf Modegalas auftauchten und wieder verschwanden, die sie höchstens im Vorbeigehen berührte wie eine zeitgenössische Plastik, in dem absurden Glauben, ihren Wert zu erspüren. Seit jenem Abend hatte sie das Gefühl, daß er etwas Einzigartiges besaß, eine ganz besondere Art von Zurückhaltung. Sprühende Passivität. Sie hatte von einer Svevo- Erzählung gesprochen und er auf
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