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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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eine Art geschwiegen, als kenne er Svevos Werk auswendig. Überhaupt konnte er kaum Italienisch, dafür aber glänzend diesen Mangel verbergen. Er hielt sich in dem Land nur als Verbraucher auf; ein Dauertourist, dem außer schlechtem Wetter nichts auf die Nerven ging, während sie eine Heimat suchte und unter jeder Unfreundlichkeit litt. Und dabei dachte und schrieb sie längst in der fremden Sprache; sogar ihr Äußeres hatte sich mit der Zeit gewandelt. An die Stelle eines soliden deutschen Liebreizes, der zu früher Heirat geführt hatte, war eine schwer bestimmbare Schönheit getreten: ein herausfordernder, an der Kippe zum Lachen oder Weinen stehender Blick und ein unverändert zerstreuter Mädchenmund, eingerahmt von zwei scharfen Falten; erst nach zwanzig Jahren war ihr Brautgesicht verschwunden. Noch als Oberschülerin hatte sie den Korrespondenten Pasquale Ruggeri geheiratet, eine hundertprozentige Schwimmbadbekanntschaft, und später an dessen Seite in reizvollen Hauptstädten gelebt, ausgestattet mit Zeit, Talent und Ehrgeiz. Während er und seine Beiträge immer gleich und unwirksam geblieben waren, hatte sie sich mit der Zeit verändert und für kleine, aber einflußreiche Blätter geschrieben. Dabei war ihr das Kunststück gelungen, aus den Jahren der freien Liebe und Straßenunruhen kinderlos und mit dem Ruf überparteilichen Spürsinns hervorzugehen; ohne eine von Naturfreunden geschützte Pinie, gegen die ihr Mann gerast war, wäre die Scheidung unvermeidlich geworden. Pasquale Ruggeri hatte, wie die meisten seiner Landsleute, nur Atem für eine kurze bis mittlere Leidenschaft gehabt. Ihr wäre bestenfalls übriggeblieben, leidenschaftlich zu ihm zu halten.
    Innerhalb von Monaten war dann ihr Lebensalter sichtbar geworden. Elisabeth Ruggeri hatte keine Angst vor diesen zweiundvierzig Jahren. Ihr Körper war ihr näher als früher. Aber es gab kein Kleidungsstück und kein Licht, in dem sie sich noch für jung gehalten hätte, darin urteilte sie strenger als ihre Umgebung; allerdings hielt sie auch das Jungsein für einen bedauernswerten Zustand. Sie lebte allein. Ihre römische Wohnung nahe der Porta Pia war groß, hell und übersichtlich, kein einfaches Parkett für Männer mit Ambitionen. Jeden ihrer wenigen Liebhaber zwang sie zu Balanceakten. Alles mußte improvisiert erscheinen und doch bis ins kleinste stimmen. Elisabeth Ruggeri war eine Meisterin des ernsten Spiels, mit dem Ergebnis, daß man sie immer zu ernst nahm, um sich richtig in sie zu verlieben. Nach den Enttäuschungen folgten Zeiten des Unerreichbarseins. Ein kleiner Satz wie auf dem Kärtchen konnte solche Phasen beenden. Sie schrieb den Namen des bekanntesten Nachtclubs der Stadt unter die Nachricht, fügte ein heute hinzu und arrangierte die Beförderung. Anschließend beugte sie sich über das Schreibheft. Seit rund zwei Jahren sammelte sie ihre sogenannten Glückssplitter. Begonnen hatte sie damit an dem Tag, als das gesamte Mobiliar eines mutterhörigen Italieners aus der ehelichen Wohnung entfernt wurde und sie zum ersten Mal durch ihre leeren gelüfteten Räume ging und auf den Wänden das römische Abendlicht sah. Kaum die Hälfte des Hefts hatte sich seitdem gefüllt, zwischen zwei Sätzen konnten Wochen liegen. Elisabeth Ruggeri notierte auch jetzt nichts. Sie las nur eine sieben Monate alte Eintragung nach.
    »Eine Juninacht, Blick über die Dächer Roms vom Gianicolo aus, fast schon Augustglut. Ich sitze auf einer Terrasse. Mir gegenüber ein Mann, der kein Wort sagt. Auf seinen bloßen Knien eine Flasche Wein und ein Glas. Wir trinken. Aus irgendeinem Grunde fällt sein Glas herunter, zerspringt. Und aus irgendeinem Grunde besteht Einigkeit, daß er kein neues holt.«

D er Mabini Palast war eine Stätte der Käuflichkeit, an der alles geschah, was Menschen für Geld zu tun bereit sind. Das offizielle Programm diente nur gewöhnlichen Wünschen und hätte den legendären Ruf kaum begründet. Wer in dem Nachtclub sang oder tanzte, hatte den Höhepunkt seiner Laufbahn erreicht und war bald danach auf einer der siebentausend Inseln des Landes vergessen. Die sogenannten Gaststars waren schon Vergessene; in ihrer Heimat kannte sie keiner mehr.
    Mit den vielen Journalisten in der Stadt blühte das Geschäft wie noch nie. Die unsichere Gegend um den Vergnügungspalast schreckte nur wenige ab. Arturo Pacificadors Goldgrube befand sich in einem ehemaligen Lagerhaus zwischen einem ausgebrannten Hotel und einer Bauruine, dem

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