Infanta (German Edition)
rückte näher, und beide sahen aus dem Fenster. Nahtlos reihten sich die Bilder aneinander. Die Bucht mit erleuchteten Schiffen. Vier Nonnen in einem Jeep. Belagerte Botschaften. Sich wiegende Palmen. Ihr gemeinsames Hotel. Die Händler vor der Zufahrt. Das Treiben in der Halle.
Die Halle glich um diese Zeit einer Börse vor dem Infarkt. Pagen riefen Namen aus. Gäste fuchtelten erregt; die einen führten Überseegespräche, andere konspirierten. Wer nicht flüsterte, schrie. Die Tische gehörten den Säufern, die Nischen Agenten, die Bar den Unermüdlichen. Eiswürfel klirrten, Gelächter brach aus; der Pianist hielt dagegen, fast einsam im Gewimmel. Kurt Lukas und Elisabeth Ruggeri fanden zwei Plätze unterhalb des Präsidentenporträts. Es war das beliebteste Motiv in jedem Fernsehbericht für das Ausland, und wie unter Zwang erwähnten alle Journalisten, die Frau an der Seite des Präsidenten sei ehemalige Schönheitskönigin – Elisabeth Ruggeri amüsierte sich über ihre Kollegen. Noch lachend fragte sie, warum er denn in einem Kriegsgebiet geblieben sei.
»Wegen eines Mädchens.«
»Einer Einheimischen?«
»Ja.«
Und ohne Kurt Lukas anzuschauen – sie saßen auf einem Sofa mit dem Rücken zur Wand –, erkundigte sie sich nach Gesichtsschnitt und Alter dieser Einheimischen , nach Lebensgewohnheiten und Verwandtschaftsverhältnissen, nach Sprache und Naturbeziehung, Prägung durch Geisterglauben und andere Einflüsse, etwa Katholizismus, Amerika, Medien. – Kurt Lukas hörte aufmerksam zu. Statt zu antworten, schob er seine Hand in Elisabeth Ruggeris Rückenausschnitt; er strich über einen zarten feuchten Steiß, und sie räusperte sich mit der Vorsicht einer Sopranistin, während ihr Blick zu einer deutschen Runde am Nebentisch ging. Die Deutschen sprachen über den Bürgerkrieg, die Verhältnisse, die Revolution und die Wirtschaft. Von Scheven prangerte das Elend an; ein Tusch des Pianisten unterbrach ihn. Alle Unterhaltungen versiegten. Das ganze Auf und Ab verebbte. Selbst Schwerbetrunkene kamen zu sich.
An der Seite des Premierministers und einstigen Chauffeurs des Präsidenten, flankiert von schußbereiten Soldaten und ballettösen Hoffotografen, schritt die First Lady, blaß geschminkt, das Haar zu einem Obelisk getürmt, durch die Halle und reichte einzelnen Journalisten die Hand. Ihr kalifornischer Werbeberater hatte sie zu diesem ungewöhnlichen Entgegenkommen bewogen, auch Ort und Zeitpunkt vorgeschlagen; wem sie ihre Hand reichte, blieb ganz den leichten Zeichen überlassen, die zwei Menschen, gewohnt, mit jedem noch so zweifelhaften Glanz des anderen den eigenen Glanz zu vermehren, unter Hunderten zusammenführen. Während der Pianist mit Armbewegungen wie ein fliegender Schwan Die glücklichen Tage sind wiedergekehrt spielte, kam die nervöse Prozession in Etappen auf die Sitzgruppen zu. Viele waren aufgestanden und hielten sich lächelnd bereit. Aber die Präsidentengattin war wählerisch. Jeden Interessenten musterte sie einen Lidschlag lang, bevor sie ihm die Hand bot oder weiterzog – für Kurt Lukas Zeit genug, um sie mit den Augen eines Mannes zu betrachten, der einer nie entthronten Schönheitskönigin entgegensieht. Er hatte seinen Finger aus Elisabeth Ruggeris Tiefe gelöst, rechts das Hemd etwas geglättet, war vorgetreten und wartete neben von Scheven. Die Präsidentengattin kam auf beide zu und traf erst im letzten Moment eine Entscheidung. Sie reichte Kurt Lukas die Hand.
Später, im Zimmer, konnte er sich kaum an ihre Worte erinnern (»Mein Mann und ich sind auf dem Weg zu den Göttern, treulose Offiziere können uns nicht aufhalten«); er wußte nur, daß er etwas Menschliches an ihr abgestreift hatte und Elisabeth Ruggeri ihm danach um den Hals gefallen war – sie liebe ihn für diesen Händedruck, jedenfalls im Moment – »Also gehen wir, bevor es vorbei ist.«
Es dauerte vierzehn Tage, bis es vorbei war. Kurt Lukas’ Zimmer stand leer. Er wechselte dort nur die Kleidung, rasierte sich oder saß vor dem Fernseher, während Elisabeth Ruggeri Berater von Beratern der Tapferen Witwe traf und um einen Interviewtermin kämpfte. Nachts, wenn er erschöpft auf ihrem Rücken lag, erzählte sie ihm von der großen Unruhe in der Stadt. Tagsüber, wenn er geschwommen hatte und im Halbschatten saß, las er von einer wachsenden Menschenmauer; mutige Passanten bildeten angeblich zwischen Panzern der Präsidentengarde und rebellierenden Truppenteilen einen Wall. Am späten
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