Infanta (German Edition)
Torso einer Brücke. Eine künstliche Perle in einer echten Trümmerlandschaft am Ende des Roxas Boulevards, der an der Bucht entlangführte. Nicht weit entfernt lag der Flughafen. Stand der Wind günstig, roch es nach Kerosin. Drehte der Wind, stank es nach Fischmehl, Kot und Aas. Der Besucher nahm das in Kauf. Mit zugehaltener Nase stieg er aus dem Taxi, sprang über Hunde und Bettler und wurde von lachenden Mädchen empfangen. Sie führten ihn in den Zuschauerraum und schleusten ihn später in den rückwärtigen Teil des Gebäudes. Dort wurden alle weniger gewöhnlichen Wünsche erfüllt. Den Auftakt bildeten Massagen. In notdürftig abgetrennten Räumen fanden aus medizinischer Sicht sinnlose Behandlungen statt, meist in erdrückender Hitze. Niemand hatte Einfluß auf die Arbeitsweise der Klimaanlage. Eisige Winde zogen durch die Backofenluft im Zuschauerraum; die einen froren, andere glaubten zu erstikken. Die größte Hitze herrschte auf der Bühne. Ehe Doña Elvira an diesem Abend zum zweiten Mal ihre Stimme erhob, mußten die Schweißlachen einer ganzen Turntruppe aufgewischt werden.
Alles war hier anders als in ihrer Bude. Zehn unbekleidete Akrobatinnen hatten bis eben das Publikum unterhalten; nach ihr erschien ein hinreißend hübscher Junge, und solange sie sang, wurde gegessen, getrunken, getanzt und geredet. Aber das war nicht das Unangenehmste. Auf Wunsch des Ex-Gouverneurs trug sie einen hautengen Anzug in den Farben des Sternenbanners. Er gehörte zum Fundus des Clubs und war für sie erweitert worden. Über den donnernden Applaus amerikanischer Gäste machte sie sich keine Illusionen; schon jetzt vermißte sie den ehrlichen Beifall Infantas. Doch Vertrag war Vertrag. Nach ihrem Auftritt schaute sie dem Jungen zu. Er hieß Jun-Jun und parodierte sparsam und erbarmungslos. Seine anderen Talente zeigte er später im rückwärtigen Bereich. Doña Elvira teilte sich die Garderobe mit ihm, eine fensterlose Kammer, in der beide auch schliefen. So sparte sie Logiskosten und war in Gesellschaft. Gleich in der ersten Nacht hatte sie Jun-Jun verführt, eine Sache von Sekunden: Er hatte geseufzt und war in ihren Armen eingeschlafen. Von da an sah sie keinen Konkurrenten mehr in ihm. Angeblich erhielt sie die höchste Gage. Aber auch eine Solotänzerin, einst Geliebte des Präsidenten, wie es hieß, brüstete sich mit einem Spitzenhonorar. Doña Elvira ging dem nicht auf den Grund. Ihr Name prangte an der Vorderfront, und Grace, die junge Managerin, sagte Madam zu ihr. Das genügte.
Ab zehn Uhr abends hielten die journalisten Einzug. Sie kamen in Gruppen, bestellten zu jedem Getränk Eimer voll Eis, jammerten über die Lage und das Klima, überboten einander im Anekdotenerzählen, hatten kein Interesse am Programm, warfen jedoch einen kritischen Blick in die hinteren Räume, verlangten Rechnungen mit Stempel und drängten schon wieder ins Freie, wo sie zwischen Autowracks und Hundekadavern ein Heer von Schleppern erwartete. Auch Elisabeth Ruggeri war in einer Gruppe gekommen. Neben ihr saßen Italiener, Deutsche und ein Amerikaner, alle mit Namensschildern an der Brust, wie alleinreisende Kinder. Sie stritten über die Tapfere Witwe.
»Früher«, rief einer der Deutschen, »hat sie noch Kekse serviert, wenn ich mit ihrem Mann sprach.« Diese Dame, erklärte der Amerikaner, habe heute Gott auf ihrer Seite. »Sie ist begnadet«, sagte er. Elisabeth Ruggeri mischte sich ein. Sie beharrte darauf, daß diese Dame weder Gott noch Männer nötig habe, um zu sein, was sie ist, und schüttelte über alle Einwände den Kopf, als säße ihr noch einmal der ewig gleiche Pasquale im Nacken, während hinter ihr Kurt Lukas stand.
Er war einfach Elisabeth Ruggeris erregter Altstimme nachgegangen, wäre aber auch so bei der Gruppe gelandet; von weitem hatte er den Deutschen für einen Bekannten gehalten. Eine Täuschung. Von Scheven – Bubengesicht, kneiferartige Brille, graue Koteletten – trat im Fernsehen auf, er leitete Auslandssendungen. Der Amerikaner hatte ihm das Feld überlassen; Bowles – massiv, trainiert, Fotograf, abenteuerliche Narben an den Armen – arbeitete. Wer ihm zusah und Fotografen kannte, wußte, daß er ein Gesicht entdeckt hatte. Elisabeth Ruggeri drehte sich um, und es kam zu einer etwas affigen Begrüßung für zwei Leute, die dieselbe Sprache sprechen.
Sie: »Come sta?«
Er: »Non c’e male.«
Fast hätten sie vergessen, sich die Hand zu geben. Kurt Lukas blieb stehen, ihm fehlte ein
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