Infanta (German Edition)
Stuhl. Der Streit am Tisch ging weiter. »Bestenfalls gibt es hier in Kürze zwei Präsidenten«, sagte von Scheven, »mit dem amerikanischen sogar drei.« Elisabeth Ruggeri widersprach nur noch schwach. Dafür redete sie lauter. »Was magst du trinken?« rief sie. »Oder hatten wir uns nicht geduzt? Hilf mir . . .« Sie wußte es nicht mehr genau, und auch Kurt Lukas war unsicher. »Für mich dasselbe wie für dich, Signora Ruggeri«, sagte er, und sie bestellte Scotch mit Wasser. Von Scheven und seine Mannschaft – vier gerötete Männer in Sportkleidung – brachen auf, und Kurt Lukas konnte sich setzen. Er setzte sich rittlings und sah zur Bühne. Der Gaststar erschien. J. J. Flamingo, Miami Beach, trug einen falschen Nerz und sang I Got You Under My Skin, immer mit weichem G und leicht gestottert, Gga-gga-gghat-juuh. Nach ihm kam wieder Doña Elvira. Kurt Lukas winkte ihr zu, und sie begrüßte ihn wie einen populären Oberst.
Elisabeth Ruggeri konnte ihre Neugier nicht länger beherrschen – »Ich frage dich nicht, was dich mit dieser Frau verbindet, ich frage dich bloß, hattest du da unten im Süden etwas zu tun. Ich kann es mir kaum vorstellen. Ich kann mir nur vorstellen, daß du gar nichts mehr zu tun hast. Oder nichts mehr zu tun haben willst. Du hast aufgehört.«
»Warum sollte ich aufgehört haben?«
»Weil du mitten in einen Krieg gereist bist.«
»Davon wußte ich nichts.« Kurt Lukas winkte wieder zur Bühne. »Du solltest mitwinken. Man muß ihr helfen. Dieser Anzug tut ihr nicht gut. Das ganze Lokal nicht. Sie quält sich. Und dabei ist sie die größte Sängerin, die ich kenne. Ihr Name ist Elvira Pelaez.«
»Woher kennst du sie?«
»Aus Infanta.«
»Heißt so dein neues Zuhause?«
Er strich über ihre Hand und schwieg. Seit sie sich auf Modemessen begegneten, hatten sie noch nie so miteinander gesprochen. Als habe sie eine nur in der Fremde auftretende Krankheit befallen, die Intimität hieß. Am Tisch wurde jetzt über Arturo Pacificador geredet. Jemand wollte ihn hinter der Bühne gesehen haben. Ein anderer bestritt, daß ihm der Nachtclub überhaupt gehöre. Ein dritter berief sich auf die Managerin. Sie kenne sogar den Weg zu Pacificadors Büro; er winkte sie an den Tisch, aber Grace war zu beschäftigt. Sie sorgte für ein reibungsloses Hin und Her zwischen den vorderen und hinteren Räumen. Man schätzte ihren Rat; tagsüber studierte sie Medizin. »Sie würde nie für einen solchen Mann arbeiten«, bemerkte ein vierter. »Aber dieser Club gehört ihm«, sagte Kurt Lukas. »Ich weiß es. Ihm gehören auch ein Flugzeug und ein Mercedes. Sogar Doña Elviras Bude hat Pacificador einmal gehört . . .« Elisabeth Ruggeri unterbrach ihn –
»Was für eine Bude?«
»Das ist schwer zu erklären.«
»Cerca di spiegare.«
Er schaute sie an.
»Nicht hier.«
Sie zahlten und gingen. Beiden war klar, daß sie sozusagen früher aufbrachen und also noch etwas vorhätten. Kaum waren sie draußen, tauchten Schlepper auf. Change Dollars, Taxi, Lifeshow, Frau mit Hund, Dogstyle, Blowjob, Deutschmark? Sie waren beide für das Taxi und ließen sich führen und lachten auf dem kurzen Weg über Dogstyle, den Gestank und überhaupt, wie man sich hier getroffen habe . . . Das Taxi stand schräg. Sie rutschten von allein zusammen. Als ein warmer öliger Wind in den Wagen zog, begann Kurt Lukas von Infanta zu erzählen. Er erwähnte die Alten, die Station und Gussmann, sprach über den Novizen und kam auf die Bude, beschrieb den Bischof, Knappsack und Hazel, ließ nichts und niemanden aus, bis auf Mayla.
Elisabeth Ruggeri legte ihm eine Hand auf den Arm. »Und ich hielt dich für stumm.«
Er streckte den Kopf aus dem Fenster. Die Fahrt ging an der Bucht entlang. Seit zehn Jahren kannten sie sich etwa, also waren sie sich zwanzigmal begegnet, in jedem Frühjahr in Mailand, in jedem Herbst in Florenz – Kurt Lukas rechnete ihr das vor, und sie verbesserte ihn. Eine Messe in München, der Abend auf seiner Terrasse, ein Empfang in Paris. »Das ist unser dreiundzwanzigstes Aufeinandertreffen«, sagte sie, und in dem Moment legte er ihr seinen Arm um die Schulter; wie eine Gymnasiastin hatte sie Rendezvous zusammengezählt.
Der Fahrtwind nahm ab. Panzer behinderten den Verkehr. Überall standen Menschen, als sei es heller Tag und nicht Mitternacht. Kleine Feuer brannten am Straßenrand; Teile der Stadt waren ohne Strom. »Wie lange wirst du bleiben?« fragte er. »Bis hier alles vorbei ist.« Sie
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