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Infektiöse Visionen (German Edition)

Infektiöse Visionen (German Edition)

Titel: Infektiöse Visionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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und hob die Hand, in der ich das Geld hielt.
    „ Ich wollte ihnen das zurückgeben. Tut mir wirklich leid.“
    Sie nickte nur, nahm die Scheine entgegen, rollte sie zusammen und steckte sie ein, ohne nachgezählt zu haben. Ich erwartete natürlich, des Hauses verwiesen zu werden, wollte mich schon umdrehen, aber dann besann ich mich, dass ich eine Frage zu stellen hatte:
    „ Haben Sie Vera heute schon gesehen? Der Laden ist noch zu, und in ihrer Wohnung ist sie auch nicht.“
    Clarissa starrte mich durch ihre riesige getönte Brille an, und ich konnte ihren Blick nicht deuten, zumal der Raum schwarz gestrichen war und das einzige Licht durch den Spalt der Wohnungstür drang.
    „ Ich frage nur, weil... na ja, ich mich bei ihr noch nicht entschuldigt habe und nicht wieder einfach so verschwinden wollte.“
    „ Wo willst du denn hin?“, fragte sie mit ihrer tiefen, grollenden, von Gin und Zigarillos durchlöcherten Stimme.
    Ich schnaufte ein und aus, hob die Schultern, ließ sie wieder sinken.
    „ Weiß nicht. Aber hier kann ich nicht bleiben.“
    „ Warum nicht?“
    „ Na, weil...“
    Ich musste auflachen, so absurd war die Frage.
    „ Das Geld da, also, Sie müssen doch denken, dass ich... Und außerdem ist da gestern noch einiges mehr vorgefallen, äh...“
    „ Vera erwartet, dass du in den nächsten Tagen den Laden betreibst.“
    „ Was?!“
    „ Ja, sie musste verreisen, eine Geschäftsreise, glaub ich, und für mich ist das nichts mit dem Laden. Ich hab ja auch meine eigene Arbeit.“
    „ Eine Geschäftsreise, wohin denn? Ist sie schon weg oder...“
    Clarissa nickte.
    „ Sie trifft sich wohl mit einem Biogemüse-Großhändler in Norddeutschland. Und dann hat sie noch vor, ein paar kleinere Zulieferer zu besuchen, Bio-Bauernhöfe und so weiter.“
    Das klang plausibel. Dass sie abgereist war, ohne sich bei mir zu verabschieden, konnte ich ihr nicht verübeln. Vielleicht war ihr Zug auch so früh gegangen, dass sie mich nicht hatte wecken wollen. Jedenfalls entspannte ich mich. Ich hatte nicht wirklich weggehen wollen. Es war ein Angebot gewesen wegen meines Diebstahls und sonstigen Verhaltens, und dass ich nun aufgefordert wurde, zu bleiben, zumindest wohl bis zu Veras Rückkehr, ließ mich aufatmen. Dass ich den Laden betreiben sollte, wäre schon unter normalen Umständen ein großer Vertrauensbeweis gewesen – nun aber, nach allem, was gewesen war, stellte sich bei mir ein schmerzhafter Kloß im Hals ein, und erst jetzt schämte ich mich so richtig.
    „ Willst du Kaffee?“
    Ich nickte, hörte auf zu nicken, nickte noch einmal, machte ein blödes gerührtes Grinsegesicht und bestätigte auch noch verbal:
    „ Ja bitte.“
    „ Ich bring dir eine Kanne nach unten. Es wird Zeit aufzusperren.“
    „ Wie spät...?“
    „ Kurz vor zehn.“
    „ Okay.“
    Hektisch geworden, drehte ich mich um, ging vor die Wohnungstür, blieb stehen, schaute noch einmal zurück. Sie stand noch da wie zuvor. Mir kam beim Anblick ihrer bewegungslosen Gestalt die verrückte Idee, sie sei gar nicht echt, sondern eine zum Leben erweckte Wachsfigur.
    „ Was ist?“, fragte sie, ohne dass ich hätte erkennen können, dass sich ihr Mund bewegte.
    „ So was kommt nie mehr vor“, sagte ich mit rauer Stimme.
    „ Schon gut“, winkte sie ab. Du wirst es wieder, und du wirst noch viel schlimmere Dinge tun.
    Ich erschrak so heftig als habe mir im Dunkeln jemand aufgelauert, um mich anzuspringen. Sie hatte das nicht laut gesagt. Aber ich wusste, sie hatte es gedacht. Weil es passieren würde. Schon passiert war in einer Zukunft, die in unserer Gegenwart herumfingerte und uns keine Chance ließ, ihr einen anderen Verlauf aufzuzwingen.
    Ich drehte mich um und rannte die Treppe hinunter.

Kapitel 25: Steht alles schon fest?
     

    Hatten sich nun endlich alle Kunden an mich als Veras Handlanger gewöhnt gehabt, begann das Fragespiel von Neuem: Warum ist der Handlanger plötzlich allein im Laden, wo ist die Chefin, wann kommt sie wieder?
    Frau Walther, die ich mit dem Scherz vom heimlichen Liebespaar auf den Arm genommen hatte, schaute mich an als glaube sie, dass ich nun, kaum ins Geschäft hinein gedrängt, die Chefin um die Ecke gebracht und mir den Laden angeeignet hätte. Ich musste an jenen Nachmittag denken, wie es sich angefühlt hatte, Vera in den Arm zu nehmen und zu küssen, und spürte ein kribbelndes Gefühl vom Bauch sich über den ganzen Körper ausbreiten.
    Ich vermisste sie. Erst jetzt, da sie weg war, wurde mir

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