Infernal: Thriller (German Edition)
möglicherweise nur sechs Stunden nach der Entführung beim Dorignac-Supermarkt angekommen. Der Plan war vielleicht, das Opfer zu malen, doch der Mörder Wingates traf eine andere Entscheidung: Töten und entledigen.«
Baxter wirft dem Psychiater einen scharfen Blick zu. »Es wäre möglich. Doch ganz gleich, wer der Mörder Wingates ist oder was er unternommen hat, nachdem das Opfer gekidnappt wurde – irgendjemand, der bereits in New Orleans war , muss der Entführer sein. Wahrscheinlich der Maler.«
Einige Sekunden herrscht Schweigen, während diese Neuigkeit einwirkt.
»Haben Sie eine Beschreibung des ominösen Reisenden?«, fragt Kaiser.
»Sehr allgemein. Mitte dreißig bis Mitte vierzig, muskulös, mit harten Gesichtszügen. Freizeitkleidung. Es ist wahrscheinlich der Gleiche, der Jordan nach dem Feuer erschreckt hat.«
»Pudelmütze?«, frage ich halb im Scherz.
»Da wäre noch etwas«, sagt Baxter. »Linda Knapp – die Freundin von Leon Gaines, die sein Bild zerstört und mit Ihnen gefahren ist. Sie ist vor dreißig Minuten wieder bei Gaines aufgetaucht. Das NOPD wollte sie nicht in seine Nähe lassen, doch sie sagte zu den Beamten, dass sie in jeder Nacht mit ihm zusammen gewesen wäre, für die er Alibis benötigt. Entweder hat er sich voll laufen lassen oder ihr den Verstand aus dem Leib gevögelt.«
Ich erinnere mich, wie wütend die Frau ausgesehen hat und wie verzweifelt sie von Gaines wegwollte. Jetzt ist sie wieder bei ihm und schützt ihn vor der Polizei. Das ist mir ein Rätsel, das ich noch nie verstanden habe, und ich bin nicht einmal sicher, ob ich es verstehen will.
»Ist die Knapp die ganzen letzten zweiundzwanzig Monate mit Gaines zusammen gewesen?«
»Nein«, sagt Baxter. »Gaines hat den Namen einer anderen Frau als Alibi für die Zeit vor seiner Beziehung mit Linda Knapp genannt. Im Augenblick versuchen wir, sie ausfindig zu machen. Was die ›Alibis‹ der anderen angeht, haben wir ebenfalls Fortschritte gemacht. Basierend auf Kreditkartenabrechnungen konnten wir feststellen, dass sowohl Wheaton als auch Smith bei jedem Mord in der Stadt waren. Leon Gaines und Thalia Laveau besitzen keine Kreditkarten. Die Befragung durch das NOPD hat keine hieb- und stichfesten Alibis hervorgebracht. Es ist keine große Überraschung, wirklich nicht. Fast alle Entführungen haben sich während der Woche ereignet, irgendwann zwischen zehn Uhr abends und sechs Uhr morgens.«
»Was ist mit Smith?«, fragt Lenz. »Er wird doch wohl den einen oder anderen Liebhaber über Nacht bei sich gehabt haben, der ihm wenigstens für einen Mord ein Alibi geben kann?«
»Bis heute hat er keinen genannt«, antwortet Baxter. »Vielleicht schützt er jemanden.«
»Eine heimliche Affäre«, sagt SAC Bowles.
»Was ist mit Juan?«, frage ich. »Dem Butler, oder was auch immer er ist?«
»Davon wussten wir bis heute überhaupt nichts«, sagt Baxter. »Das NOPD vernimmt ihn gegenwärtig. Er hat versucht zu entwischen, aber sie haben ihn gefasst. Sieht aus, als wäre er illegal in den Staaten. Ein Salvadorianer.«
Jetzt begreife ich, warum er mir bekannt vorkam. Ich habe lange Zeit in El Salvador verbracht und eine Menge Gesichter wie seines gesehen.
»Was haben wir sonst noch?«, fragt Kaiser. »Was ist mit Soldaten, die mit Wheaton gedient haben? Mit Sträflingen, die mit Gaines die Zelle geteilt haben?«
»Ich habe zwei Listen«, sagt Baxter. »Ich dachte mir, dass Sie vielleicht zuerst mit den Vietnam-Veteranen reden wollen.«
Während die Männer Einzelheiten ausarbeiten, steigt ein merkwürdiger Gedanke in mir auf. Das Paradoxon zwischen Expertenmeinung und Indizienbeweisen hat in meinem Unterbewusstsein zu einer neuen Idee geführt. »Mir ist da gerade noch eine dritte Möglichkeit eingefallen«, sage ich leise.
Kaiser bringt die anderen mit einer Handbewegung zum Schweigen, und alle wenden sich mir zu.
»Und was wäre das für eine Möglichkeit?«, fragt Kaiser.
»Was, wenn einer der vier Verdächtigen, die wir heute vernommen haben, die Morde durchführt, ohne zu wissen, dass er es tut?«
Keiner sagt etwas. Baxter und Kaiser starren mich verwirrt an, doch Dr. Lenz blüht auf.
»Wie sind Sie darauf gekommen?«, fragt der Psychiater.
»Die alte Theorie von Sherlock Holmes. Nachdem man zunächst sämtliche unmöglichen Lösungen ausgeschlossen hat, ist das, was auch immer übrig bleibt, die Lösung des Problems, ganz gleich, wie unwahrscheinlich sie auch wirken mag.«
»Aber wir haben die anderen
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