Infernal: Thriller (German Edition)
cremefarbenen Säulen hindurch und steige eine gepflasterte Treppe hinauf, und dann sehe ich über einen schmalen Parkplatz hinüber auf den Damm und die Ausleger eines Frachters, dessen rot bemalte Wasserlinie auf Höhe meiner Augen vorbeizieht.
»Wohin gehen wir?«, fragt Wendy.
»Zum Fluss. Auf dem Damm ist ein Fußweg, hinter dem Parkplatz.«
»Ich weiß. Der Moonwalk.«
Sie bleibt dicht bei mir, als ich zu der kleinen Straßenbahnhaltestelle bei der Dumaine gehe, die Schienen überquere und dann die gemauerte Treppe zum Damm hinaufsteige. Der Fluss ist ziemlich breit hier und das Wasser für die Jahreszeit hoch, eine graubraune Flut, die New Orleans von Algier trennt. Schubschiffe und Schlepper stampfen mit überraschender Geschwindigkeit durch das Wasser. Möwen kreisen über ihnen und stoßen immer wieder herab. Wir gehen in Richtung Jackson Square, und in einiger Entfernung sehe ich die Hotels und Kaufhäuser von Canal Place, das alte Trade Mart Building, das Aquarium of the Americas und die beiden Brücken, die sich zum anderen Ufer spannen.
Wir sind nicht allein auf dem Spazierweg. Touristen mit Kameras laufen herum, Jogger mit Kopfhörern, Straßenmusikanten sitzen mit offenen Gitarrenkoffern voller Kleingeld im Gras, und Penner suchen Blickkontakt mit den Passanten in der Hoffnung auf den einen oder anderen schnellen Dollar. Wendy spannt sich jedes Mal an, wenn wir an einem vorbeikommen, und atmet erst wieder aus, wenn wir ein gutes Stück weiter sind.
Unterhalb des Damms, zu meiner Rechten, verlaufen die Straßenbahnschienen und der Parkplatz, der sich am gesamten Damm entlangzieht. Auf der linken Seite senkt sich die Böschung acht Meter hinab bis zum Wasser. Der Damm ist ein Erdwall, der auf der Flussseite mit einer Anschüttung aus schwerem grauem Felsgeröll vor Erosion geschützt ist. Treibholz hat sich in den Steinen am Wasser verfangen, und alle vierzig Meter steht ein Angler mit einer Rute und hofft darauf, dass ein Wels oder ein Hecht anbeißt.
»Wendy, erinnern Sie sich an den großen Skandal damals, als die Labors des FBI gefälschte Beweise vorgebracht haben? Die Ergebnisse zurechtbogen, bis die Staatsanwaltschaft hatte, was sie brauchte?«
»Ja«, antwortet sie mit plötzlicher Neugier.
»Wurde damals nicht auch nachgewiesen, dass die komplizierten forensischen Tests nicht halb so präzise waren wie bis dahin behauptet?«
»In einigen Fällen, ja. Doch Louis Freeh hat es zu seiner wichtigsten Aufgabe gemacht, all das zu korrigieren. Denken Sie an die Zobelhaare?«
»Ich frage mich, ob die vier Leute, die wir so bedrängen, auch nur das Geringste mit diesem Fall zu tun haben.«
»Das Labor hat in diesem Fall nicht auf ein bekanntes Resultat hingearbeitet, Jordan. Es fand einfach heraus, dass eine sehr seltene Sorte von Pinselhaaren benutzt wurde, und einer der wenigen Orte in den Vereinigten Staaten, wo diese Pinsel hingeschickt wurden, ist New Orleans.«
Ihre Antwort klingt überzeugend, und das beruhigt mich ein bisschen. Ich spüre, wie mein Atem allmählich ein wenig schneller geht, aber Wendy spricht weiter, als würden wir uns beim Mittagessen an einem Tisch gegenübersitzen.
»Ich habe noch nie an einem Mordfall mitgearbeitet«, gesteht sie. »Aber ich habe vollkommenes Vertrauen in Baxter und John.«
Ich nicke, doch mein Vertrauen ist alles andere als vollkommen. Unten am Wasser blickt ein großer bärtiger Mann in einem Mantel zu uns herauf, als wir vorbeigehen. Er ist weit genug entfernt, um Wendy nicht nervös zu machen, aber ich bin sicher, dass sie ihre Waffe in einer Sekunde, wenn nicht schneller, ziehen kann.
»Wie war diese Thalia Laveau denn so?«, fragt sie.
»Wirklich nett. Sie hatte eine schlimme Kindheit. Ihr Vater und ihr Cousin haben sie sexuell missbraucht.«
»Oh.«
»Ja.«
»Sie war lesbisch?«
»Ich hoffe, sie ist es noch immer.«
»Mein Gott, ja.« Wendy errötet. »Ich wollte nicht ... ich habe mich wohl falsch ausgedrückt.«
»Schon in Ordnung.«
Wir gehen weiter, und sie scheint sich in ihre eigenen Gedanken zurückzuziehen. Unvermittelt sagt sie: »Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten oder so etwas, aber ich habe Ihr Gespräch mit Thalia Laveau mitgehört. Sie haben ihr erzählt, dass Sie einmal vergewaltigt wurden. Stimmt das?«
Ich spüre Ärger in mir aufsteigen, weil ich weiß, dass die Geschichte wahrscheinlich in der gesamten FBI-Niederlassung die Runde macht, doch es fällt mir schwer, wütend auf Wendy zu sein, deren Neugier
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