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Infernal: Thriller (German Edition)

Infernal: Thriller (German Edition)

Titel: Infernal: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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Lehne des Rücksitzes hinweg mit undurchsichtiger Miene beobachtet.

20
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    A ls ich die eichenbestandene Promenade der Esplanade entlangspaziere, Special Agent Wendy Travis immer ein paar Meter hinter mir, wirbeln Bilder durch meine Gedanken, die ich lieber nicht heraufbeschwören will, und in meinem Magen hält sich die unterschwellige Übelkeit, die ich spüre, seit Dr. Lenz Roger Wheaton zu dem Eingeständnis brachte, dass seine Krankheit ihn vor Jahren impotent gemacht hat. Frank Smiths Geständnis, dass Wheaton ihn um Sterbehilfe gebeten hat, wenn es so weit ist, macht die Übelkeit nur noch schlimmer. Das monotone Geräusch meiner Schritte auf dem Pflaster lenkt mich ein wenig von diesen Gedanken ab, also konzentriere ich mich darauf.
    Ich biege von der Esplanade in die Royal Street ab, die ein Stück weiter im French Quarter zum Zentrum des Antiquitätenhandels wird, doch hier unten am flussseitigen Ende ist es eine ruhige Straße mit Wohnhäusern und leer stehenden Lagerschuppen. Ich habe einen großen Teil meiner Zeit in diesem Straßenblock verbracht, als ich mit siebzehn hierher gezogen bin, um eine Welt kennen zu lernen, die zugleich dunkler und exotischer war als das provinzielle Leben, das ich im nördlichen Mississippi hinter mir gelassen hatte. Zwei Jahrzehnte später sind die Gerüche, Geräusche und Anblicke immer noch die gleichen. Kunstvolle Balkone mit schmiedeeisernen Geländern, voll gestellt mit Farnen und Lilien, reihen sich entlang der Fronten pastellfarbener Häuser, die nicht so strahlend hell leuchten wie in der Karibik, aber auf ihre Weise trotzdem prachtvoll sind. Das Aroma von frisch gebackenem Brot und schmorenden Eintöpfen weht aus der St. Philip Street herüber, Rufe im einheimischen Dialekt durchmischen sich mit dem schnellen, präzisen Französisch der Touristen an der Ecke der Ursulines Street.
    Nur drei Blocks zu meiner Linken, hinter der Decatour Street und dem Damm, fließt der Mississippi, und auf ihm fahren Schiffe, die höher aufragen als die Dächer der Häuser. Ich fühle mich zum Fluss gezogen, doch weil der Zugang von der Werft am Ende der Ursulines blockiert ist, halte ich mich auf der Royal und schlendere gemütlich wie eine Einheimische durch die Gegend. Mein Innenohr verrät mir, was ich längst weiß – dass ich mich unterhalb des Meeresspiegels befinde und durch eine Welt bewege, die nur provisorisch existiert. Ein einziger Hurrikan über dieser Gegend, und See mitsamt Fluss würden sich in das French Quarter ergießen wie eine ausgekippte Riesenschüssel und vom Lucky Dog bis zu den Touristenfallen in der Bourbon Street alles unter ihren Fluten begraben, bis nur noch die Kathedralentürme und Andy Jackson auf seinem Pferd aus dem Wasser ragen. Nichts als kreischende Möwen würden über den Masten der Stromleitungen kreisen.
    Bei der St. Philip biege ich nach links zum Fluss ab. Mit jedem Schritt wird meine Umgebung kommerzieller. Ich komme an Restaurants und Pubs, Anwaltsbüros und kleinen Hotels vorbei. Vom Eingang des Babylon Club ertönt das melodische Geräusch einer Bottleneck. Und immer wieder führt die eine oder andere Tür durch einen Gang in einen der abgeschlossenen Höfe und lockt mit mitternächtlichen Stelldicheins und Maskensoireen. Plötzlich wird mir bewusst, dass die »Schlafenden Frauen« vielleicht auf einem dieser Höfe entstanden sind. Wie eigenartig der Gedanke ist, dass gestern Nacht, während hier draußen Menschen lachten und tranken und sich liebten und schliefen, FBI-Flugzeuge über dem Viertel gekreist sind und Thermobilder von den Gebäuden geschossen haben auf der Suche nach einem Garten oder Hof, der abgeschieden genug ist, um die »Schlafenden Frauen« ohne Störung zu malen.
    Am Place de France erwartet mich Johanna von Orleans, auf einer kleinen Betoninsel mitten im Verkehr. Sie sitzt hoch auf einem goldenen Ross und hält eine goldene Fahne in den grauen Wolkenhimmel gestreckt – ein unvollkommenes Denkmal für eine Frau, die die von den Mächtigen ihrer Zeit gezogenen Grenzen überschritten hat. Ein ehrliches Denkmal würde sie auf dem Scheiterhaufen brennend zeigen. Wendy hält sich inzwischen an meiner Seite, denn plötzlich sind wir in einem Meer von Menschen – hin und her wogende Touristen, Wagen, Händler vom French Market, die lautstark Obst, Gemüse, Kaffee und schrille Souvenirs anpreisen. Ich kann den Fluss jetzt riechen, ein schmutziger, stinkender Geruch in der kühlen Luft. Ich schlüpfe zwischen zwei

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