Infernal: Thriller (German Edition)
kopfüber ins Wasser.
Nach einem Moment kommt er wieder an die Oberfläche und treibt an Ort und Stelle. Sein Mund öffnet und schließt sich wie der eines gestrandeten Fischs. Dann dreht er sich langsam, und die Strömung ergreift von ihm Besitz. Ich verspüre keinen Drang, ihn zu retten, doch als er langsam am Ufer entlangtreibt, wird mir bewusst, dass wir seine Identität möglicherweise niemals herausfinden werden, wenn der Fluss ihn mitreißt. Dass wir Thalia niemals finden werden oder Jane oder irgendeine der anderen Frauen – oder erfahren, was aus ihnen geworden ist.
Ich springe über die Absperrungskette und versuche, mit ihm Schritt zu halten, indem ich über die glitschigen Steine springe. Es ist schwierig, auf den Felsen das Gleichgewicht zu bewahren und sich nicht die Knöchel zu brechen, und die Strömung zieht ihn schnell mit sich, nicht nur flussabwärts, sondern auch weg vom Ufer und zur Mitte hin. Er ist bereits sechs Meter vom Land entfernt und treibt rasch weiter weg.
»Hilfe!«, ruft er, und Panik erfüllt seine stumpfen Augen. »Ich kann nicht mehr atmen!«
Vermutlich füllen sich seine Lungen mit Blut. Er könnte innerlich ertrinken, bevor der Fluss ihn schnappt. Ich kann nicht hinter ihm her; er könnte mich mit nach unten ziehen, ohne es zu wollen.
»Bitte!«, ruft er. »Ich kann mich nicht über Wasser halten!«
»Geh zur Hölle!«, brülle ich, obwohl ich weiß, dass ich ihn irgendwie retten muss.
Er ist bereits acht Meter vom Ufer entfernt und dreht sich im Kielwasser eines fernen Schleppers im Kreis. Als er mit dem Gesicht von mir abgewandt ist, ruft er etwas, das ich nicht verstehe. Dann kommt er herum und wiederholt es.
»Deine Schwester lebt!«
Ein Adrenalinstoß schießt durch meine Adern, und ich muss mich zusammenreißen, um nicht hinter ihm herzuspringen. Das wäre genau das, was er will. Er lügt. Ganz bestimmt lügt er.
»Wo ist sie?«, rufe ich.
»Hilf mir!«, ruft er erneut. »Ich kann sie retten! Bitte!«
»Zuerst die Antwort!«
Sein Kopf versinkt unter Wasser, dann kommt er wieder hoch. Ich stolpere zum Rand des Ufers, wo eingeklemmt zwischen den Steinen ein langes Stück Treibholz liegt. Es ist ein Ast, vom Wasser glatt geschmirgelt auf seiner Reise nach Süden.
»Jordan!«, ruft eine Stimme, die scheinbar meilenweit entfernt ist. Sie gehört John. Er steht oben an der Treppe. »Zieh ihn mit dem Ast ans Ufer!«
Ich zerre mit all meiner Kraft an dem Holz, doch es gelingt mir nicht, es aus dem Geröll zu befreien. Jede Sekunde treibt mein Entführer weiter davon, und er nimmt das Geheimnis meiner Schwester mit sich. Ich kann diesen Bastard nicht retten, ohne selbst ins Wasser zu springen, und das wäre Wahnsinn. Selbst gute Schwimmer ertrinken im Mississippi, und das ohne den Versuch, jemand anderen zu retten.
Plötzlich und ohne bewussten Gedanken fliegt meine Hand zum Reißverschluss meiner Gürteltasche, und dann halte ich meine kleine Canon in der Hand, die ich auch in New York beim Brand von Wingates Galerie benutzt habe.
Ich richte das Objektiv auf den Ertrinkenden und knipse ein Bild, bevor ich weiter über das Geröll stolpere und von Stein zu Stein springe, ohne Rücksicht auf meine Knochen, um nahe heranzukommen für einen zweiten sauberen Schuss. Doch inzwischen hat ihn die Hauptströmung erfasst. Er ist mehr als zehn Meter weit draußen und dreht sich von mir weg. Als sein Gesicht erneut herumkommt, mache ich drei schnelle Aufnahmen, bevor ich weiterrenne in der Hoffnung auf eine neue, noch bessere Gelegenheit. Als er fünfzehn Meter weit draußen ist, schieße ich zwei weitere Bilder, bevor sein Kopf versinkt und nicht wieder nach oben kommt.
Ich schnappe nach Luft vor Erschöpfung, dann wende ich mich vom Wasser ab und klettere vorsichtig auf den Damm zurück. John sitzt auf der obersten Stufe der Holztreppe, fünfzig Meter von mir entfernt, ein Handy in der Hand. Das Geräusch sich nähernder Polizeisirenen weht aus dem French Quarter heran. Als ich zu John trotte, legt er das Telefon neben sich und zieht den Gürtel straffer, den er sich um den Oberschenkel gebunden hat.
»Du bist am Bein getroffen?«, frage ich.
Ich sehe, dass er große Schmerzen hat, doch er nickt nur und deutet die Treppe hinunter. »Geh ans Wasser und sieh nach, ob du seine Waffe finden kannst. Vielleicht hat er sie fallen lassen, und wir entdecken ein paar Fingerabdrücke.«
Ich untersuche jeden Quadratzentimeter des verwitterten Holzes, während ich mich zum Wasser
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