Infernal: Thriller (German Edition)
komme, stelle ich fest, dass sie auf ihrer immer noch im Halfter steckenden Waffe liegt. Wenn ich anhalte, um sie umzudrehen, wird er mich wieder einfangen. Es gibt keine Deckung weit und breit außer dem Fluss, also werfe ich mich nach links und stürze in Richtung der Holztreppe davon, die zum Wasser hinunterführt. Als ich die oberste Stufe erreiche, ertönt hinter mir ein Schuss.
»Bring mich nicht dazu, dich zu töten!«
Ich stehe am Rand der Treppe und biete ein perfektes Ziel, und ich kann das Wasser unmöglich in einem einzigen Satz erreichen. Ich muss auf eine bessere Chance warten.
Als ich mich umdrehe, kommt er mit vorgehaltener Pistole heran. Seine dunklen Augen funkeln wütend. Er sieht ein wenig älter aus als ich, mit einem Schopf grau melierter Haare und einem Gesicht, das von tiefen Linien durchzogen ist. Ich habe dieses Gesicht noch niemals gesehen, doch ich kenne das dunkle Licht in seinen Augen. Ich kenne es von Orten, an die ich mich lieber nicht erinnere.
»Wir gehen jetzt zu meinem Wagen«, sagt er. »Wenn du dich wehrst, schieße ich dir in den Rücken. Du wirst schlaff wie eine Puppe, und ich muss dich tragen, aber du bist immer noch schön warm zwischen den Beinen, und für den Mann immer noch ein hübsches Motiv.«
Die eisige Bestimmtheit seiner Stimme paralysiert mich und verbannt jedes Gefühl außer Entsetzen. Er packt mich erneut am Arm und zerrt mich entschlossen auf den Damm hinauf.
Dreißig Meter weiter liegt John auf dem Bauch und bemüht sich vergeblich, auf die Knie zu kommen. Sobald wir ihn erreichen, wird mein Entführer eine weitere Kugel auf ihn abschießen, genau wie er es bei Wendy getan hat. Meine Beine werden schwer von der Unausweichlichkeit dessen, was geschehen ...
»Joooordan!«
Der Schrei lässt mich erstarren, und im Bruchteil einer Sekunde erkenne ich, dass er aus Wendy Travis’ Kehle gekommen ist. Ich verdrehe den Hals und sehe sie auf dem Bauch liegen. Sie stützt sich auf die Ellbogen und hält die Pistole mit beiden Händen umklammert. Ihre Augen leuchten hell durch das Blut und den Regen. Ein Arm peitscht um mich herum, um auf sie zu zielen, doch ich schlage ihn beiseite und werfe mich so weit aus der Schussbahn, wie ich kann.
Orangefarbene Blitze zucken aus dem Lauf von Wendys Pistole.
Ein lautes Grunzen neben mir. Mein Entführer stolpert, dann bringt er seine Waffe wieder in Anschlag. Wendy schießt erneut. Er bellt vor Wut und Schmerz auf, dann greift er in blinder Wut an. Wendy schießt ein drittes Mal und verfehlt ihn, und dann beginnt er zu feuern, Schuss auf Schuss. Er verfehlt sie viermal, doch dann ruckt Wendys Kopf nach hinten. Ich will es nicht wahrhaben, doch tief in mir weiß ich, dass Wendy tot ist.
Er dreht sich zu mir um, doch er ist verwundet und kann sich nicht gut bewegen. Blut schimmert an Brust und Schulter auf seinem Polohemd. Aus zwanzig Metern Entfernung hebt er seine Pistole und zielt damit auf mich. Meine Augen sind voller Tränen, doch ich sehe, dass er seinen ursprünglichen Plan aufgegeben hat. Jetzt will er mich nur noch töten.
Die Pistole schwankt, wird wieder ruhig und ruckt schließlich in die Höhe, als hinter mir ein ohrenbetäubendes Krachen ertönt und Sekunden später vom anderen Ufer her zurückhallt. Ich wirbele herum und sehe John am Rand des Damms knien. Er hält seine Kaliber .40 Automatik absolut ruhig.
»Wirf dich hin!«, brüllt er.
Ich werfe mich zu Boden, und John leert sein Magazin. Schuss auf Schuss hallt über das Wasser, und die Echos der vorangehenden verschmelzen mit dem Donner der folgenden. Als ich den Kopf wieder hebe, ist mein Angreifer verschwunden.
Nachdem der letzte Schuss verklungen ist, krieche ich über das Pflaster zu Wendy in der Hoffnung, dass es vielleicht doch noch nicht zu spät ist. Die Rückseite ihres Schädels ist eine blutige Masse aus Haaren und Hirngewebe, und mein Hals ist wie zugeschnürt, als ich es sehe. Ein Verwundeter mit frei liegender Hirnmasse hat keine Chance, war eines der ersten Dinge, die ich in einem militärischen Feldlazarett gelernt habe.
»Runter!«, brüllt John erneut. »Bleib in Deckung!«
Ich küsse Wendy auf das Haar, dann stehe ich langsam auf und gehe zum Anfang der Holztreppe, um nach unten zu sehen. Der Mann im Polohemd liegt zusammengekrümmt am unteren Ende der Treppe, schnappt ächzend nach Luft und klammert sich an einen Geländerpfosten. Während ich ihn ohne Mitleid beobachte, schlüpft seine Hand vom Pfosten, und er stürzt
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