Infernal: Thriller (German Edition)
an einer Leinwand, die ich nicht sehen kann. Er ist nackt bis auf ein Tuch, das er um die Lenden und zwischen den Beinen hindurchgeschlungen hat wie auf den Bildern der Renaissancekünstler, wenn sie die Genitalien von Jesus auf ihren Kreuzigungsmotiven verbergen wollten. Wheaton ist überraschend muskulös, doch sein Oberkörper ist übersät mit Blutergüssen und blauen Flecken von der Art, wie ich sie in Afrika bei Menschen mit Lungenentzündung sah, die sich zu Tode gehustet haben.
Mein erster Versuch, zu reden, endet in einem Röcheln. Doch dann beginnt der Speichel wieder zu fließen, und ich bringe die Worte hervor. »Wo bin ich?«
Zumindest in einer Hinsicht ist es eine rhetorische Frage – ich bin an dem Ort, an dem vor mir wenigstens elf andere Frauen gewesen sind – zwölf, wenn ich Thalia mitzähle. Ich bin im Haus des Killers. Ich bin nun selbst eine der »Schlafenden Frauen«.
»Sie können sich nicht bewegen, habe ich Recht?«
Als ich nicht antworte, kommt Wheaton herbei und dreht den Warmwasserhahn auf. Zuerst zittere ich nur noch mehr, doch dann strömt gesegnete Wärme um meine Hüften und meinen Bauch. Wheaton kehrt zu seiner Staffelei zurück und überlässt es mir selbst, mich von dem dampfenden Wasserstrahl wegzuschieben.
»Wo bin ich?«, wiederhole ich meine Frage.
»Was glauben Sie denn, wo Sie sind?« Wheatons Blick wandert von der Leinwand zu mir und wieder zurück.
»Im Haus des Killers«, erwidere ich und benutze Johns Ausdruck.
Er scheint mich nicht zu hören.
»Ist Thalia tot?«
»Klinisch betrachtet nicht, nein.«
Ich halte meine Furcht nur mühsam im Zaum. »Was bedeutet das? Haben Sie sie betäubt?«
»Permanent.«
»Was?«
»Sehen Sie sie an.«
Das surreale Gefühl von Entsetzen, das mich beim ersten Anblick von Wheaton erfüllt hat, weicht immer mehr nackter, animalischer Angst, doch ich zwinge mich, Thalia anzusehen. Das Badewasser reicht ihr bis halb über die Brüste, die, weil sie schwimmen, lebendiger zu sein scheinen als ihre Besitzerin. Ich erkenne keine offensichtlichen Wunden. Ein Arm hängt schlaff im Wasser, die Hand verschrumpelt wie eine Backpflaume. Der andere Arm hängt über die Seite der Wanne. Als ich über den Rand spähe, stelle ich fest, dass meine Angst noch kaum angefangen hat, die Leiter des Horrors zu erklimmen. In Thalias Unterarm steckt ein weißer Venenkatheter, befestigt mit einem Heftpflaster. Vom Katheter aus verläuft ein durchsichtiger Schlauch in Serpentinen um einen Aluminiumständer herum und mündet in einen Infusionsbeutel am oberen Ende. Der Beutel ist leer.
»Was war in diesem Beutel?«, frage ich und habe Mühe, meine Stimme zu kontrollieren.
Wheaton verharrt sekundenlang reglos mit dem Pinsel in der Luft, bevor er mit schnellen, entschlossenen Strichen weitermalt.
»Insulin.«
Ich schließe die Augen, als Frank Smiths Worte in meinem Gedächtnis nachhallen: Insulin ist ein friedvoller Weg zu sterben: Schlaf, Koma, und dann der Tod. Das Problem ist – manchmal stirbt man nicht. Manchmal trägt man nur Gehirnschäden davon ...
»Sie spürt keine Schmerzen«, sagt er, als würde das die Umstände mildern.
Ich versuche vergeblich, die Hand zu heben und den Wasserhahn zu schließen. »Was ist mit meinen Armen? Warum kann ich mich nicht bewegen?«
Wheaton ignoriert mich, während der Pinsel mit erstaunlicher Geschwindigkeit über die Leinwand huscht. Ein verspäteter Gedanke bringt mich dazu, meinen eigenen Unterarm umzudrehen. Den linken. Es scheint eine Ewigkeit zu dauern, doch schließlich sehe ich einen Plastikschlauch, der auf meinem Handrücken in eine Infusionsnadel mündet. Ich will ihn herausreißen, doch ich habe nicht genügend Kontrolle über meine Muskeln.
Wheaton ermahnt mich mit erhobenem Finger. »In Ihrem Beutel ist Valium. Und ein Entkrampfungsmittel. Doch das kann sich leicht ändern. Also bitte, machen Sie es sich nicht unnötig schwer.«
Valium? Mein zweitliebstes Medikament ...
»Ich hatte eigentlich erwartet, dass Sie wenigstens noch eine Stunde bewusstlos bleiben würden.«
Plötzlich richtet Wheaton sich auf und dreht sich um, als würde er sich selbst in einem Spiegel betrachten. Was er auch tatsächlich tut. Zu meiner Rechten, zwischen der Badewanne und der Wand, steht ein großer Spiegel, wie sie in Ballettstudios zu finden sind. Wheaton malt nicht nur Thalia und mich – er malt auch sich .
»Was malen Sie?«
»Mein Meisterwerk. Ich nenne es ›Apotheose‹.«
»Ich dachte, die Lichtung
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