Infernal: Thriller (German Edition)
hier gemalt hat ...«, er deutet auf einen wunderbaren Baum neben seiner Schulter, dann wieder zu Boden, »... und Sie haben das dort gemalt?«
Wheaton berührt Aldridge am Arm, und ein knisternder blauer Blitz zuckt auf. Der FBI-Agent fällt wie ein Stein zu Boden und zuckt wie jemand, der einen epileptischen Anfall erleidet.
Dann wendet sich Wheaton zu mir, und das freundliche, onkelhafte Gesicht ist verschwunden. Eine neue Intelligenz starrt mich aus den Augen an: verschlagen, berechnend, kalt, furchtlos.
»Ich bin nicht der Mann, der das dort gemalt hat«, sagt er und deutet auf die uns umgebende Lichtung. »Der Mann, der das getan hat, ist fast tot.«
Mit albtraumhafter Langsamkeit beuge ich mich vor und fummele an meinem rechten Knöchel nach der Pistole, die John mir gegeben hat, doch Wheaton reißt an seinem Ende der Plane und zieht mir buchstäblich den Boden unter den Füßen weg. Ich falle hin.
Als ich den Griff der Featherweight berühre, spüre ich einen heftigen Stich im Nacken, und meine Arme zucken unkontrolliert. Der Raum um mich herum verschwimmt, verblasst und kehrt zurück. Ich schwebe dem großen Oberlicht entgegen und frage mich bereits, ob ich sterbe, doch dann bewege ich mich auch seitwärts, und ich begreife, dass Wheaton mich trägt.
Er geht zum Rand des Leinwandkreises und entfernt sich dabei von der Öffnung, und ich frage mich bereits, ob er vielleicht glaubt, dass er in sein Gemälde treten kann. Doch wenige Zentimeter vor dem wunderbar kunstvollen Wald beugt er sich vor und legt mich zu Boden, um anschließend ein Messer aus der Tasche zu ziehen. Mit einem einzigen großen Hieb durchtrennt er die Leinwand von oben bis unten, dann hebt er mich wieder auf und trägt mich durch den Schnitt wie ein Geist, der durch eine Wand spaziert.
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L angsam komme ich wieder zu mir, doch ich kann nichts sehen. Ich weiß, dass ich am Leben bin, weil ich friere, schrecklich friere, und ganz nass bin. Ich zittere vor Kälte. Ich versuche, mein Gesicht zu berühren, doch meine Arme gehorchen mir nicht. Meine Beine genauso wenig. Mit größter Mühe bewege ich meine Hüften, und Schmerz schießt in meine Beine. Die Qual zurückkehrender Blutzirkulation. Ich konzentriere mich voll und ganz darauf, die Augen zu öffnen, doch meine Lider bleiben geschlossen. Wenigstens mein Geruchssinn funktioniert. Urin, durchdringend und stechend, dringt in meine Nase. Entsetzen breitet sich in mir aus wie bei einer Ratte, die in einem Sack gefangen ist.
Stopp! , sagt eine Stimme in meinem Kopf, und ich klammere mich verzweifelt an ihren Hall. Die Stimme meines Vaters. Keine Panik jetzt , sagt die Stimme.
Aber ich habe so große Angst ...
Du bist am Leben. Wo es Leben gibt, da gibt es auch Hoffnung.
Bleib bei mir, Daddy.
Denk an schöne Dinge , sagt er. Bald kommt der neue Tag.
Mein Verstand ist ein Nebel aus Konfusion, doch durch den Nebel sehe ich helle Flecken. Ich sehe ein kleines Mädchen an einem Pult in einem Zimmer voller Pulte. Neben ihm sitzt ein anderes Mädchen, das dem ersten bis in die Haarspitzen ähnelt. Eines der kleinen Mädchen bin ich. Ich fühle mich mehr wie ein Junge als wie ein Mädchen. Mein Lieblingsbuch ist »Die geheimnisvolle Insel«. Ich bestelle mir Bücher aus einem dünnen Katalog, den die Lehrerin jedem Schüler und jeder Schülerin in ihrer Klasse gibt. »Emil und die Detektive«. »Der weiße Wolf«. Bücher wie diese. Geld ist knapp bei uns, aber wenn es um Bücher geht, ist meine Mutter richtig verschwenderisch. Ich darf so viele bestellen, wie ich möchte. Tag für Tag sitze ich hier und warte darauf, dass meine Bücher eintreffen. Meine Bücher. Es dauert einen Monat oder länger, doch als sie endlich da sind, als die Lehrerin das große Paket öffnet und den Kindern die bestellten Bücher übergibt, während sie auf einer Liste alle Titel abhakt, da strahle ich vor Glück. Ich hatte nie das neueste Kleid oder das hübscheste, aber ich habe immer den größten Stapel Bücher. Kleine Taschenbücher, die nach Druckerschwärze riechen. Ich drücke meine Wange gegen die glatten, kühlen Einbände und freue mich auf die Geschichten, die auf mich warten, und ich weiß, dass die anderen Mädchen sich wahrscheinlich fragen, was ich mit diesen Büchern will.
Genau so war es mit der »Geheimnisvollen Insel«. Es ging um vier Männer, die versuchen, in einem Heißluftballon aus einem Kriegsgefangenenlager zu fliehen. Ein Sturm verschlägt sie hinaus auf das Meer, und sie gehen
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