Infernal: Thriller (German Edition)
könnte er die Ignoranz rings um sich nicht begreifen. Entweder hat der Psychiater vergessen, auf wessen Territorium er sich befindet, oder er bildet sich ein, dass Baxters Protektion ihn kugelsicher macht.
»Damit ich das richtig verstehe«, sage ich zu Kaiser. »Sie glauben, ein siebzig Jahre alter Mann läuft durch New Orleans und kidnappt zwanzig und dreißig Jahre alte Frauen? Ohne eine Spur zu hinterlassen? Meine Schwester ist jeden Tag drei Meilen gelaufen und hat mit Gewichten trainiert. Sie hätte den meisten Siebzigjährigen mühelos in den Arsch getreten, verzeihen Sie meine Worte.«
»Siebzig ist so alt auch wieder nicht«, entgegnet Lenz als Anwalt des Teufels. »Es gibt siebzigjährige Männer, die sich ausgezeichneter Gesundheit erfreuen.«
»Vergessen Sie nicht die Taser-Spuren im Nacken des Dorignac-Opfers«, sagt Kaiser. »Doch falls de Becque dahinter steckt, dann könnte ich mir vorstellen, dass er nur als Auftraggeber fungiert. Er bezahlt einen oder mehrere Männer für die Entführungen und einen Künstler für die Gemälde. Er selbst macht sich bestimmt nicht die Finger schmutzig. Ein gesuchter Flüchtling wie er hat wahrscheinlich jede Menge Leibwächter auf seinem Grundstück, ehemalige israelische Kommandos, Fallschirmjäger, Fremdenlegionäre, vielleicht sogar Marines.«
»Ein elegantes Szenario«, sagt Lenz.
»Glauben Sie, dass de Becque die Bilder vielleicht selbst gemalt hat?«, fragt Bowles.
»Er ist ein Sammler, kein Maler«, seufzt Lenz abfällig. »Aber wenn er die Bilder in Auftrag gibt, wieso besitzt er selbst dann nur fünf? Warum behält er sie nicht alle?«
»Weil er mit dem Verkauf Geld verdient«, sagt Baxter.
»Ein Bursche, der mindestens fünfzig Millionen schwer ist?«, entgegnet Bowles.
»Ein ausgeklügelter Streich«, schlägt Kaiser vor. »Um die Kunstwelt auf den Kopf zu stellen. Des Nervenkitzels wegen. Oder aus irgendeiner verdrehten Vorstellung heraus, die wir noch nicht verstehen.«
Ich kann nicht sagen, wer für welche Theorie argumentiert. Obwohl Lenz und Kaiser sich nicht mögen, respektieren sie eindeutig die Meinung des jeweils anderen, und Baxter schätzt alle beide, weil er ihnen freien Lauf lässt. Während sie sich gegenseitig die Bälle zuspielen, kommt mir ein Gedanke.
»Wingate hat erzählt, dass de Becque die ersten fünf ›Schlafenden Frauen‹ gekauft hat«, sage ich. »Wie kommt es dann, dass Sie das erste Bild auf Talkum analysieren konnten?«
»Die Bilder wurden nicht in der Reihenfolge ihrer Entstehung verkauft«, erwidert Baxter. »Wir haben das erste Bild analysiert, das gemalt wurde. Eines der mehr abstrakten. Die realistischen Bilder waren diejenigen, die zuerst verkauft wurden und das Phänomen in Gang brachten.«
»Seine Nabi-Periode«, sagt Lenz.
»Die Nabis«, sage ich. »Wingate hat sie erwähnt. Hebräisch für ›die Propheten‹.«
»Ganz recht.«
»Wusste de Becque, dass ich bereits bei Ihnen bin?«, frage ich.
»Es sah danach aus«, antwortet Baxter.
»Wie zur Hölle konnte er davon wissen?«, fragt Kaiser.
»Ich weiß es nicht, John.«
Kaiser wendet sich zu Bowles. »Wie dicht haben Sie die Sache gehalten?«
Der Ire presst die Lippen aufeinander. Er ist schließlich immer noch Kaisers Boss. »Falls es eine undichte Stelle gibt, dann nicht bei unseren Leuten.«
Kaiser wirkt nicht sonderlich überzeugt. Genauso wenig wie Lenz.
»Und was werden wir nun tun?«, fragt SAC Bowles.
»Ich fliege nach Grand Cayman«, beschließe ich. »Auf die eine oder andere Weise.«
Lenz nickt billigend, doch Kaiser starrt mich böse an.
»Das ist kein Ausflug nach Somalia mit einem Presseausweis in der Tasche.«
Jetzt erröte ich zornig. »Ich fühle mich geschmeichelt von Ihrem Verlangen, mich zu schützen, Agent Kaiser, aber ich glaube nicht, dass wir diese Untersuchung damit voranbringen.«
»Sie hat Recht«, sagt Lenz.
»Wir werden Miss Glass der Sache nachgehen lassen«, entscheidet Baxter, und es klingt endgültig. »Wir kennen ihre Wünsche. Unsere Aufgabe ist es, zu entscheiden, welche Strategie die größten Aussichten auf Erfolg hat.«
»Sie braucht Schutz!«, protestiert Kaiser. »Wir haben nicht die geringste Ahnung, was alles geschehen könnte, und wir kennen bis jetzt nicht einmal das Motiv hinter der Geschichte! De Becques Leute könnten sich in New Orleans herumtreiben. Sie könnten sie jederzeit entführen oder töten!«
»Einverstanden«, sagt Baxter. »Patrick, können Sie einen Ihrer Agenten zum Schutz
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