Infernal: Thriller (German Edition)
wohl auch meine Entscheidung, den Vorschuss des Verlegers anzunehmen, von der Möglichkeit bestimmt gewesen, bezahlt zu werden, während ich durch Asien trampend, mit einem Auge an der Kamera und einem Ohr am Boden, selbst nach meinem Vater suchte.
Mit Jane ist es etwas anderes. Bis meine Agentur mich endlich an einem Satellitentelefon in Sarajewo ausfindig gemacht hatte, war bereits eine unwiderrufliche Veränderung in mir vorgegangen. Als ich eine Straße überquerte, die einst von Heckenschützen verseucht war, wallte ein Nimbus aus Furcht in mir auf. Nicht die vertraute Furcht vor einer Kugel, die meinen Namen trug, sondern etwas viel Tieferes. Welche Energie auch immer meine Seele belebt, sie hörte einfach auf zu fließen, während ich rannte. Die Straße verschwand. Als wäre es neun Jahre früher, während der schlimmsten Zeit, als die Heckenschützen auf alles feuerten, was sich bewegte, lief ich blindlings in den dunklen Tunnel vor mir. Ein Kameramann von CNN zerrte mich hinter eine Mauer in der Annahme, ich hätte den Einschlag der mit einem Schalldämpfer abgefeuerten Kugel im Beton gesehen. Ich hatte nichts gesehen, doch einen Augenblick später, als die Straße wieder zurückkehrte, fühlte ich mich, als wäre die Kugel durch mich hindurchgegangen und hätte etwas mitgenommen, das kein Arzt mir jemals zurückgeben oder wieder in Ordnung bringen konnte.
Die Quantenphysik beschreibt so genannte »Zwillings-Partikel«, Photonen, die sich, obwohl sie räumlich meilenweit voneinander entfernt sind, genau gleich verhalten, wenn sie mit zwei Alternativen für ihre Bahn konfrontiert werden. Man glaubt heute, dass es eine unsichtbare Verbindung zwischen ihnen gibt, die sämtlichen bekannten physikalischen Gesetzen widerspricht und die ohne Rücksicht auf die Lichtgeschwindigkeit oder irgendeine andere bekannte Beschränkung funktioniert. Jane und ich waren auf diese Weise miteinander verbunden. Und von dem Augenblick an, in dem diese dunkle Furcht durch mein Herz pulsierte, spürte ich, dass mein Zwilling tot war. Zwölf Stunden später erhielt ich den Anruf.
Dreizehn Monate nach diesem Ereignis – vor zwei Stunden – spaziere ich in ein Museum und sehe ihr gemaltes Bild, nackt und im Tod. Ich bin nicht sicher, was unmittelbar danach geschah. Die Erde hörte nicht auf, sich zu drehen. Die Cäsiumatome in der Atomuhr von Boulder hörten nicht auf zu schwingen. Doch die Zeit im subjektiven Sinn – die Zeit, die mich ausmacht – hörte einfach auf. Ich wurde zu einem Vakuum in der Welt.
Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich in der ersten Klasse an Bord einer Cathay Pacific 747 nach New York sitze. Ein pazifischer Sonnenuntergang erstrahlt in meinem Fenster, und die Vibrationen der vier großen Turbinen erzeugen winzige Wellen im Scotch auf dem Tablett vor mir. Das ist zwei Whiskys her, und ich habe noch immer neunzehn Stunden bis zur Landung. Meine Augen sind trocken und brennen, als wäre Sand darin. Ich bin leer geweint. Mein Verstand tastet sich zurück in Richtung Museum, doch irgendetwas ist im Weg. Ein Schatten. Ich hüte mich davor, die Erinnerung trotzdem heraufzuzwingen. In Afrika wurde ich einmal angeschossen, und von dem Augenblick, als die Kugel meine Schulter durchschlug, bis zu dem Zeitpunkt, als ich im Colonial Hotel wieder zur Besinnung kam und feststellte, dass ich von einem australischen Reporter versorgt wurde, dessen Vater Arzt war, war alles weg. Die fehlenden Ereignisse – eine hektische Tour im Jeep über eine befestigte Straße, das Bestechen eines Wachpostens an einem Kontrollpunkt (woran ich selbst teilgenommen habe) – kamen erst später wieder. Sie waren nicht verschwunden, sondern glatt aus meiner Erinnerung herausgefallen.
Genau wie im Museum. Doch hier, in der vertrauten Umgebung des Flugzeugs, mit der wohligen Wärme, die der dritte Scotch hervorruft, beginnen die Dinge zurückzukehren. Kurze, flüchtige Eindrücke zuerst, dann undeutliche Sequenzen, wie ein schlechtes Streaming Video. Ich stehe vor dem Gemälde einer nackten Frau, deren Gesicht bis hin zum letzten Detail mein eigenes ist, und meine Füße sind mit alptraumhafter Hartnäckigkeit am Boden angewurzelt. Die Männer, die sich hinter mir drängen, glauben offensichtlich, ich sei die Frau, die für das Bild an der Wand Modell gestanden hat. Sie schnattern unaufhörlich und rennen durcheinander wie Ameisen, deren Hügel mit Kerosin übergossen wurde. Sie sind verblüfft, weil ich lebendig bin, und
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