Infernal: Thriller (German Edition)
»Ich muss Sie bitten, sämtliche Waffen bei diesen Herren abzugeben.«
Sie sagt es genauso leichthin, wie eine andere Gastgeberin nach unseren Mänteln fragen würde.
»Ich bin unbewaffnet«, antwortet Kaiser.
»Ich ebenfalls.«
»Bitte verzeihen Sie diese Unannehmlichkeit.«
Der Begleiter des Fahrers kommt mit einem schwarzen Stab heran und streicht damit über Kaisers Körper. Dann scannt er mich auf die gleiche Weise, und schließlich nickt er Li zu, die uns anlächelt.
»Wenn Sie mir nun folgen würden, s’il vous plaît ? Ihr Gepäck wird in die entsprechenden Räume gebracht.«
Kaiser zuckt die Schultern und folgt der freundlichen Erscheinung.
Unsere Reise durch de Becques Herrenhaus ist eine Unterweisung in bescheidener Eleganz. Die Räume sind von einer Zen-artigen Einfachheit, und das Mobiliar verstärkt diesen Eindruck noch. Sämtliche Beleuchtung ist indirekt, und die wenigen sichtbaren Lichtstrahlen fallen auf Gemälde, die in angemessenen Abständen an den Wänden hängen. Ich weiß nicht genug über Kunst, um die Werke zu erkennen, doch ich habe das unbestimmte Gefühl, dass jemand, der sich damit auskennt, gewaltig beeindruckt wäre.
Unser Ziel ist ein großer Raum mit einer hohen Decke und einer massiven Wand aus Glas, die auf den Hafen hinauszeigt. Er ist mit südostasiatischem Mobiliar ausgestattet, doch auch hier ist nichts Überladenes. Hinter der Glaswand liegt ein riesiger Swimmingpool, eines von jenen indigofarbenen Dingern, die direkt ins Meer dahinter zu münden scheinen. In der Ferne durchpflügen ein Dutzend Boote das Wasser der North Bay, und während ich noch hinsehe, bemerke ich einen Mann am rechten unteren Ende der Glaswand, der mich beobachtet. Ich habe ihn zuerst nicht gesehen, weil er mit der gleichen bemerkenswerten, reglosen Haltung dasteht wie vorhin die Frau an der Tür. Er ist von durchschnittlicher Größe und tief gebräunt, hat durchdringend blaue Augen und volles, kurz geschnittenes, silbergraues Haar.
» Bonjour «, sagt er mit leiser, maskuliner Stimme. »Ich bin Marcel de Becque. Verzeihen Sie, ich war gerade in Gedanken bei glücklicheren Tagen. Ich hoffe, Ihre Anreise war nicht zu holprig?«
»Danke, alles bestens.«
Er tritt vor, und bevor ich weiß, wie mir geschieht, nimmt er meine Hand, verneigt sich vor mir und küsst sie mit höfischer Eleganz. »Sie sind weit schöner, als ich dachte, ma chérie . Ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind.«
Trotz der merkwürdigen Situation spüre ich, wie ich erröte. »Das ist mein Assistent, John Kaiser.«
De Becque lächelt auf eine Weise, die uns wissen lässt, dass er unser Spiel mitspielt, obwohl er es durchschaut hat. Dann winkt er in Richtung der Wand zu meiner Rechten, wo eine Reihe Schwarzweiß-Fotografien hängt. Die meisten davon scheinen aus verschiedenen Phasen des Vietnamkriegs zu stammen, und jede einzelne ist ganz eindeutig das Werk eines Meisters.
»Gefallen sie Ihnen?«, fragt de Becque.
»Sie sind außergewöhnlich. Woher haben Sie diese Bilder?«
»Während des Krieges kannte ich viele Journalisten. Und viele Fotografen. Sie waren so freundlich, mir von Zeit zu Zeit Abzüge zu geben.«
Nicht alle Fotos zeigen militärische Themen. Ich sehe Studien vietnamesischer Männer, Frauen und Kinder; auf anderen Bildern sind Tempel und Statuen zu sehen, noch andere zeigen Gruppen von Männern in neutraler khakifarbener Kleidung, offensichtlich Kriegsberichterstatter. Bei näherem Hinsehen erkenne ich einige Fotografen: Sean Flynn, Dixie Reese, Dana Stone, Larry Burrows. Die Besten der Besten. Capa ist ebenfalls abgelichtet, der Archetyp von allen, und sein freches Grinsen lässt ihn selbst im mittleren Alter noch jungenhaft erscheinen. Als ich mich dem nächsten Abzug zuwende, gefriert mir fast das Blut in den Adern. Ganz allein neben einem Steinbuddha steht mein Vater. Jonathan Glass.
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A ußerstande, etwas zu sagen, gehe ich näher an das Bild an der Wand des ausgebürgerten Franzosen heran. Mein Vater trägt eine Leica um den Hals und eine Nikon F2 in der Hand – die gleiche Kamera, die ich heute noch besitze. Es bedeutet, dass das Foto im Jahre 1972 geschossen wurde, dem Jahr, in dem die Kamera auf den Markt kam und in dem er vermutlich starb.
»Woher haben Sie das?«, flüstere ich schließlich und deute mit zitterndem Finger auf das Bild.
»Terry Reynolds hat es 1972 gemacht«, sagt de Becque. »Bevor er selbst in Kambodscha verschwand. Ich kannte Ihren Vater gut, Jordan.«
Er
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