Infernal: Thriller (German Edition)
»Schlafenden Frauen« mit Asien? Es ist wirklich zwecklos, in diesem Stadium nach einer Antwort zu suchen. Aber vielleicht kann Marcel de Becque, der französische Schwarzhändler und Teeplantagenbesitzer aus Kolonialtagen, ein wenig Licht in die Angelegenheit bringen.
Grand Cayman liegt einhundertfünfzig Meilen südlich von Kuba. Vor fünfzehn Jahren waren die Inseln ein unverdorbenes Paradies. Heute unterscheiden sie sich kaum noch von Cancún – stark kommerzialisiert und amerikanisiert –, auch wenn die Caymans mehr Klasse haben. Teile von Grand Cayman sind wirtschaftlich immer noch unerschlossen, doch um ein Gefühl für die alten Caymans zu bekommen, muss man mit einem Teichhüpfer nach Osten zu der kleineren, ursprünglicheren Insel Cayman Brac fliegen.
Unser Pilot kreist einmal über der North Bay, um uns den Besitz von de Becque zu zeigen, ein abgezäuntes Gelände auf einer vorspringenden Landzunge in der Nähe der Marina. Der Franzose bemüht sich allem Anschein nach nicht darum, unauffällig zu bleiben, sonst hätte er sich zweifellos in der diskreteren Gemeinde Cayman Kai in der Nähe von Rum Point angesiedelt. Als ich nach unten auf das smaragdfarbene Wasser und die weißen Strände sehe, erwarte ich halb, die Stimme von Robin Leach zu hören, doch stattdessen meldet sich unser Pilot und informiert uns, dass wir in den Landeanflug zum Flughafen von Georgetown übergehen und uns anschnallen sollen.
Wir werden auf dem Rollfeld von einem weißen Range Rover erwartet, und die unbedeutende Angelegenheit der Zoll- und Einreisekontrolle ist bereits vom Justizministerium geregelt worden. Der britische Gouverneur der Inseln weiß, dass wir da sind, und sollte während unseres Aufenthalts irgendetwas Fragwürdiges geschehen, gibt es bereits jetzt keinen Zweifel, wer die Schuld trägt. Ein weißer Fahrer und sein farbiger Begleiter laden meine Kameras und die Beleuchtungsausrüstung hinten in den Rover, und nachdem wir den Airport verlassen haben, geht es nach Norden.
»Wie weit ist es bis zum Anwesen von Monsieur de Becque?«, frage ich.
»Ein paar Minuten«, antwortet der Fahrer mit französischem Akzent.
Kaiser sagt nichts.
Auf den Caymans herrscht wie überall im Vereinigten Königreich Linksverkehr. Alle paar Sekunden schwenkt unser Fahrer auf die rechte Gegenfahrbahn, um farbenprächtige Jeeps, Lieferwagen und Motorroller zu überholen, die ausnahmslos geruhsam wie im Urlaub dahinzockeln. Außer den Touristenfahrzeugen sind eine ganze Reihe großer Mercedes’ und BMWs unterwegs. Die Cayman-Inseln sind wohlhabend, seit King George III. die Bürger als Belohnung für ihre heroische Hilfe bei der Tragödie der zehn Segelschiffe von der Steuer befreit hat. Dieser Status – zusammen mit wasserdichten Gesetzen zum Bankgeheimnis – haben die Caymans zu einem internationalen Steuerparadies und zum fünftgrößten Finanzzentrum der Welt gemacht. Im Gegensatz zu den übrigen Inseln der Karibik, wo Bettler ein richtiges Ärgernis werden können, sind die Einheimischen von den Cayman-Inseln reicher als mancher Tourist.
Eine hohe Mauer umgibt de Becques Grundstück, doch als unser Fahrer mit einer Fernbedienung das schmiedeeiserne Tor öffnet, sehe ich eine größere Version von dem, was ich bereits aus der Luft bemerkt habe: ein britisches Herrenhaus im Kolonialstil, das – wie einige Botschaften – den Eindruck einer Festung erweckt. Der Fahrer steuert den Rover eine geschwungene Auffahrt hinauf und hält vor einer breiten weißen Marmortreppe. Sein Begleiter steigt aus, öffnet uns die Türen und bedeutet uns, hinaufzugehen.
Die massive Tür öffnet sich, bevor wir läuten können, und ich stehe unvermittelt einer der schönsten Frauen gegenüber, die ich je gesehen habe. Mit ihrem wundervollen schwarzen Haar, der hellbraunen Haut und den Mandelaugen verfügt sie über die seltene Kombination asiatischer und europäischer Züge, die es mir unmöglich macht, ihr Alter zu schätzen. Sie kann genauso gut dreißig wie fünfzig sein, und ihre Haltung ist bemerkenswert. Sie steht absolut still und erweckt den Eindruck, als könnte sie eine Stunde oder einen Tag so ausharren. Beinahe wirkt es überraschend, als sie spricht.
» Bonjour , Mademoiselle Glass.«
»Hallo.«
»Ich bin Li. Bitte, treten Sie ein.«
Ich komme ihrer Aufforderung nach, gefolgt von Kaiser, der gemeinsam mit dem Fahrer unsere Aluminiumkoffer trägt. Nachdem sie die Koffer auf dem Granitboden des Foyers abgesetzt haben, sagt Li:
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