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Infernal: Thriller (German Edition)

Infernal: Thriller (German Edition)

Titel: Infernal: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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spricht meinen Namen mit einem weichen »Sch« aus. Ich richte mich auf und bemühe mich, Haltung zu bewahren, als ich frage: »Sie kannten ihn?«
    De Becque nimmt mich beim Ellbogen und führt mich zu einem Tisch, wo eine Flasche Wein und drei Gläser bereitstehen. Er schenkt mir ein Glas Weißwein ein, das ich in zwei Schlucken hinunterkippe, bevor er Kaiser ebenfalls ein Glas anbietet. Kaiser lehnt ab. De Becque schenkt sich selbst ein und nimmt einen kleinen Schluck.
    »Nur in Maßen«, sagt er. »Meine Leber spricht sonst deutliche Worte zu mir.«
    »Monsieur ...«
    Er unterbricht mich mit erhobener Hand. »Ich bin sicher, dass Ihnen tausend brennende Fragen auf der Seele liegen. Warum fotografieren Sie nicht zuerst meine Bilder? Anschließend können Sie hierher zurückkehren und Ihre Neugier befriedigen.«
    Mein Gesicht fühlt sich glühend an, und ich bin nicht imstande, etwas zu erwidern.
    »Bitte«, beharrt de Becque. »Wir haben genügend Zeit.«
    »Verraten Sie mir zuerst eins. Ist meine Schwester tot oder lebendig?«
    Er schüttelt den Kopf. » Je ne sais pas, ma chérie . Das weiß ich nicht.«
    Das Ablichten von de Becques Gemälden ist eine leichte Übung, technisch betrachtet. Bevor wir von New Orleans losgeflogen sind, habe ich eine Liste mit Ausrüstungsgegenständen verfasst, und Baxter hat seine Leute losgeschickt, um alles zu organisieren. Das Wichtigste war eine Mamiya Mittelformat-Kamera. Die 5 x 5-Negative liefern überlegene Qualität, ohne dass die Tragbarkeit der Kamera leidet. Das Schwierige ist der menschliche Faktor. Kaiser gibt sich die größte Mühe, meinen Anordnungen zu folgen und die Beleuchtung richtig zu platzieren, doch Li – de Becque hat sie mit uns geschickt, um sicherzustellen, dass wir den Leinwänden nicht zu nahe kommen – erkennt wahrscheinlich auf Anhieb, dass mein »Assistent« in seinem ganzen Leben noch keine Softbox und keinen Schirm in der Hand gehalten hat.
    Ich selbst bin ebenfalls nicht in Topform. Die Aussicht, de Becque nach meinem Vater auszuhorchen, ist so unglaublich verlockend, dass sie meine Sorge um Jane fast verdrängt, und mir fallen die einfachsten Aufgaben schwer – wie zum Beispiel einen Blitz auf ein Stativ zu montieren. Kaiser ist bald von anderen Dingen abgelenkt. Der größte Teil von de Becques Sammlung ist in drei museumsartigen Hallen ausgestellt, und seine »Schlafenden Frauen« sind lediglich fünf Gemälde unter vielen. Der Rest entstammt – nach Kaisers Worten, der offensichtlich im Verlauf der beiden letzten Tage einen Intensivkurs in Kunstgeschichte absolviert hat – verschiedenen Epochen. Die meisten kommen aus der Zeit von 1870 bis heute und umfassen auch Werke von den Nabis. Kaiser bewegt sich methodisch durch die Räume, versucht zu behalten, so viel er kann, und kehrt einmal sogar zu mir zurück, um mir ins Ohr zu flüstern, dass einige der Bilder möglicherweise während des Zweiten Weltkriegs von den Nazis gestohlen wurden. Er fragt Li, ob wir die gesamte Sammlung fotografieren dürfen, doch sie lehnt mit den Worten ab, dass de Becque unsere Aktivitäten ausdrücklich auf die »Schlafenden Frauen« begrenzt hätte.
    Ich lichte die Gemälde mit einer Sorgfalt ab, die an zwanghaftes Verhalten grenzt, während ich mich gleichzeitig bemühe, sie nicht allzu genau anzusehen. In gewisser Hinsicht ist jede einzelne dieser Frauen in meinen Augen Jane. Sie sind mit einer bemerkenswerten Kraft gemalt, das spüre sogar ich. Im Gegensatz zu dem Gemälde, das ich in Wingates Galerie gesehen habe, sind die Frauen auf diesen Leinwänden ein Rausch von Farben, nicht ihre Umgebung: lebendiges Blau und Orange, durchsetzt von Weiß und Gelb. Zwei liegen in Badewannen, ähnlich der Frau, die ich auf dem ersten Bild in Hongkong gesehen habe, doch ihre Gesichter sind nicht so deutlich herausgearbeitet. Wenn ich nicht wüsste, dass diese Frauen vielleicht tot sind, würde ich glauben, dass sie schlafen, denn ihre Haut strahlt vor Lebendigkeit.
    Doch ich weiß es besser.
    Der Mann, der diese Bilder gemalt hat, saß oder stand vor versteinerten menschlichen Wesen, während er den harten metallischen Gestank in sich aufnahm, der so charakteristisch ist für Schweiß, der von Angst erzeugt wird. Es sei denn, die Frauen waren bereits tot, als er sie malte. Wie lange konnte er das ertragen? Im gleichen Raum mit toten Frauen zu sein, während sie in Verwesung übergingen? Ich habe viele Leichen fotografiert, und die Nähe zu ihnen ist etwas, das man

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