Infernal: Thriller (German Edition)
Und genau wie Sie habe ich im Verlauf der Jahre Berichte gehört, dass er gesehen wurde.«
»Falls er überlebt hat«, sagt Kaiser, »und falls er Sie als Freund betrachtet hat – warum ist er nicht zu Ihnen gekommen?«
»Vielleicht hat er es versucht. Aber ich hatte meine Plantage bereits verkauft, als er verschwand. Er konnte mich nicht finden, selbst wenn er es versucht hätte. Doch es gibt eine einfachere Antwort. Ende des Jahres 1972 war Vietnam kein Land mehr, in das irgendjemand freiwillig zurückgekehrt wäre.«
»Genauso wenig wie Kambodscha«, entgegne ich. »Falls es ihm nicht gelungen ist, aus Kambodscha zu verschwinden, bevor Pol Pot mit seinem Völkermord anfing, kann er unmöglich überlebt haben.«
Ein weiteres Schulterzucken. »Es ist ein Rätsel. Doch ich habe gehört, dass Jonathan zweimal in Thailand gesehen wurde, und diese Informationen stammen aus zuverlässigen Quellen.«
»Glauben Sie, dass er noch immer am Leben sein könnte?«
Ein bedauerndes Lächeln. »Das wäre zu viel der Hoffnung, denke ich.«
»Wie lange liegen die beiden erwähnten Beobachtungen zurück?«
»Das erste Mal wurde er um 1976 gesehen. Das letzte Mal 1980.«
Vor mehr als zwanzig Jahren. »Wir sind aus einem anderen Grund hergekommen, wie Sie wissen. Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich Sie zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal anrufe und nach Einzelheiten frage?«
»Ich werde dafür sorgen, dass Sie meine Nummern erhalten, bevor Sie abreisen.«
Kaiser beugt sich vor, das Weinglas zwischen den Knien. »Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen.«
»Selbstverständlich. Allerdings weiß ich nicht, ob ich jede beantworten will.«
»Kennen Sie die Identität des Künstlers, der die ›Schlafenden Frauen‹ gemalt hat?«
»Nein.«
»Wie sind Sie zum ersten Mal auf diese Gemälde aufmerksam geworden?«
»Ich war mit Christopher Wingate bekannt, dem Kunsthändler. Ich habe die Angewohnheit, neue Künstler zu kaufen, deren Arbeit mir ins Auge sticht. Es ist riskant, doch das Leben bringt immer Risiken mit sich, oder?«
»Betrachten Sie die Sammlerei als reines Geschäft?«
De Becques Augen glitzern amüsiert. »Nicht im Geringsten. Wenn ich Geld machen wollte, gäbe es wesentlich sicherere Wege.«
»Also hat Wingate Sie auf die ›Schlafenden Frauen‹ aufmerksam gemacht, und ...«
»Ich habe ihm gesagt, dass ich alle kaufen würde, die er mir besorgen kann.«
»Und er hat Ihnen fünf besorgt?«
»Ja. Dann beging ich den Fehler, gewissen asiatischen Bekannten meine Gemälde zu zeigen. Der Preis schoss über Nacht in astronomische Höhen. Nach dem fünften Bild hat Wingate mich verraten und angefangen, an die Japaner zu verkaufen. Doch ...«, de Becque hebt die Hände, »... wer erwartet schon Ehrgefühl von einem Serben?«
»Was hat Sie an den Gemälden fasziniert?«
Der Franzose schürzt die Lippen. »Schwer zu sagen.«
»Wussten Sie, dass es sich um reale Frauen handeln könnte?«
»Davon bin ich ausgegangen. Modelle, meine ich selbstverständlich.«
»Haben Sie geglaubt, dass die Modelle möglicherweise tot sein könnten?«
»Zuerst nicht, nein. Genau wie jeder andere auch, nahm ich an, es wären Schlafposen. Erst nach dem vierten Gemälde kamen mir Zweifel. Dann erkannte ich den Genius dieser Bilder. Es waren Bilder des Todes, doch auf eine Weise, wie er noch nie zuvor dargestellt worden ist.«
»Wie meinen Sie das?«
»In der westlichen Welt ist das allgemeine Verhalten gegenüber dem Tod Verleugnung. Der Westen betet die Jugend an und lebt in Angst vor Krankheit und Alter. Am meisten fürchtet er jedoch den Tod. In Fernost ist das anders. Sie wissen das. Sie waren dort.«
Diese Feststellung trifft Kaiser unvorbereitet. »Woher wollen Sie das wissen?«
»Sie sind ein Soldat. Das habe ich gleich gesehen, als Sie den Raum betreten haben.«
»Ich bin seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr Soldat.«
De Becque lächelt und winkt ab. »Ich sehe es an Ihrem Gang und der Art, wie Sie andere beobachten. Da Sie Amerikaner sind, verrät mir Ihr Alter, dass Sie in Vietnam waren.«
»Ich war dort.«
»Ah. Also wissen Sie, wie es ist. Wenn in Amerika jemand von einer Klapperschlange gebissen wird, setzt man Himmel und Hölle in Bewegung und rast ins Krankenhaus. Wenn in Vietnam ein Mann von einer Kobra gebissen wird, setzt er sich hin und wartet auf seinen Tod. Der Tod ist in Fernost Teil des Lebens. Und für viele ist er eine süße Erlösung. Das ist es, was ich in den ›Schlafenden
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