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Inferno

Inferno

Titel: Inferno Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lee
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wich vor dem obszönen Anblick zurück. Das muss ich mir wirklich nicht ansehen . Zuerst war sie angeekelt, doch dann dachte sie nüchterner darüber nach. Ein im Dienst an seinem Land verkrüppelter Kriegsheld. Zurück in die Armut gestoßen, als die Armee keine Verwendung mehr für ihn hatte. Was blieb ihm denn übrig?
    Wirklich eine super Idee …
    Wenn sie jetzt weiterging, wäre ihm das sicher peinlich. So leise sie konnte drehte sie wieder um und ging auf Zehenspitzen den Hügel hinauf. Und was hast du heute so gemacht, Cassie? , fragte sie sich im Scherz. Ach, nichts Besonderes. Ich bin in den Ort gegangen und versehentlich für einen männlichen Transvestiten gehalten worden, dann habe ich in allen Einzelheiten die Geschichte eines satanischen Kindsmörders erzählt bekommen und zum Schluss noch einem einarmigen Redneck beim Wichsen zugeschaut. Ganz schön volles Programm.
    Plötzlich entdeckte sie einen Pfad aus flachen Steinen, der den Hügel hinaufführte, und als sie darauf weiterlief, fühlte sie sich selbst ein bisschen verlegen. Sie konnte immer noch in Fetzen Roys Stöhnen hören, als er sich langsam seinem Höhepunkt näherte.
    Puh, an wen er wohl gerade denkt?
    Sie lächelte, zuckte die Achseln und ging weiter. Doch nach ungefähr fünfzig Metern blieb sie erneut stehen. Sie hörte Schritte – fremde Schritte – den Hügel hinab kommen.
    Ihr Vater konnte es eigentlich nicht sein; er war zwar sicher schon vom Angeln zurück, doch warum sollte er so weit vom Haus entfernt hier herumlaufen?
    Im Wald.
    Auf keinen Fall .
    Leichte Panik stieg in ihr auf; die unsichtbaren Schritte wurden lauter. Sollte sie zurück zu Roy laufen?
    Ein rascher Blick über die Schulter zeigte ihr, dass der schrottreife Pick-up gerade losfuhr. Die Sonne stand inzwischen so tief, dass der Wald sich zu einem Labyrinth der Schatten verdunkelt hatte. Nervös blickte Cassie den Pfad hoch.
    Da stand jemand, vollkommen reglos.
    Und starrte sie an.

IV

    Bill Heydon legte die auf einen Haken aufgezogenen Welse in den Kühlschrank. Keine schlechte Ausbeute für einen Anfänger , stellte er fest. Er würde sie später schuppen – Cassie war normalerweise nicht zimperlich und auch eine gute Köchin, aber sie weigerte sich standhaft, Fische auszunehmen. Aber zuerst...
    Er lief im Erdgeschoss herum.
    »Cassie?«
    Mühsam wuchtete er seine 100 Kilo die breiten Stufen hoch und blieb auf halber Treppe stehen. »Cassie? Bist du da?«
    Keine Antwort.
    Für einen winzigen Augenblick meinte er, Musik zu hören. Nur ein paar weit entfernte Takte. Diese Grufti-Musik würde er nie verstehen. Maryland Mansion, Mann, Mann . Für ihn klang das alles einfach nur wie Lärm. Als er aber einen Blick in Cassies Zimmer warf, war sie dort nicht. Abgesehen davon hatte sich die Musik auch viel weiter entfernt angehört.
    Vielleicht hast du schon Halluzinationen, alter Mann .
    Er stand ganz still, lauschte angestrengt und hörte nichts. Wahrscheinlich war es der Sohn von Mrs Conner, der draußen arbeitete. Manchmal hatte er ein Radio dabei.
    Aber wo war Cassie?
    Sie spaziert wohl noch durch die Gegend.
    Wenigstens hieß das, die Luft war rein. Er ging die Treppe wieder hinunter und hinaus auf die von einer steinernen Brüstung umgebene hintere Terrasse des älteren Teils des Hauses. Hastig zündete er sich eine Zigarette an. Sie würde toben, wenn sie mich erwischt . Aber er konnte nichts dagegen machen.
    Eines Tages höre ich auf – aber nicht heute.
    Die Sonne verwandelte sich in einen glühenden orangefarbenen Fleck, als sie hinter den Bergen versank. Das ist einfach wunderschön. Solche Sonnenuntergänge gibt es in D.C. nicht. Die Abgeschiedenheit des Anwesens machte die Umgebung für ihn nur noch faszinierender. Die Stadt war wie eine Sucht, und er wusste, sie brachte nicht nur Cassie um, sondern auch ihn selbst. Sie beide mussten einfach von allem wegkommen; es war der einzige Weg. Früher in der Stadt war er so verbohrt gewesen, als hinge das Überleben der ganzen Welt von seinem nächsten Millionen-Dollar-Prozess ab. Zu lange hatte er es einfach nicht kapiert. Erst hatte es ihn seine Frau gekostet, und als er es endlich begriffen hatte, war eine seiner Töchter tot, und die andere versuchte zwischen Therapien und Sanatorien, sich umzubringen.
    Eines schönen Tages war die Erkenntnis in ihm aufgeblitzt: Hau ab oder stirb.
    Sein Blick glitt über das ungewöhnliche Haus, dann über die weiten Wälder dahinter. Nie hatte er sich so entspannt gefühlt,

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