Inferno
rissigen, leicht geschwollenen Finger. »Ja, hat es, aber im Augenblick habe ich Probleme mit den Tasten.«
»Ich mache das«, erbot sich Sienna und nahm das Gerät. »Ich suche nach venezianischen Dogen, kopflosen Pferden und Knochen der Blinden.« Ihre Finger flogen über die winzige Tastatur.
Langdon überflog das Gedicht noch einmal und las die nächsten Zeilen vor:
Kniet nieder im vergoldeten Mouseion der Heiligen Weisheit
Dann leget das Ohr auf den Boden
Und folgt dem Klang des tropfenden Wassers.
»Ich habe noch nie von einem Mouseion gehört«, sagte Ferris.
»Das ist ein antikes Wort. Es bezeichnet einen den Musen geweihten Tempel«, erklärte Langdon. »Im alten Griechenland war das Mouseion ein Ort, an dem sich die Gebildeten versammelten, um Ideen auszutauschen oder über Literatur, Musik und Kunst zu diskutieren. Das erste Mouseion ließ Ptolemäus II . im zweiten Jahrhundert v. Chr. in der Großen Bibliothek von Alexandria erbauen, und in der Folge entstanden überall auf der Welt weitere.«
»Dr. Brooks«, sagte Ferris mit einem hoffnungsvollen Blick zu Sienna. »Könnten Sie nachsehen, ob es so ein Mouseion auch in Venedig gibt?«
»Sogar Dutzende«, erklärte Langdon und lächelte schelmisch. »Heutzutage spricht man sie nur anders aus. Man nennt sie Museen.«
Ferris hob die Brauen. »Dann werden wir wohl ein größeres Netz auswerfen müssen.«
Sienna setzte die Suche mit dem Handy fort. Es bereitete ihr keine Mühe, sich auf mehrere Dinge gleichzeitig zu konzentrieren. »Okay, wir suchen also nach einem Museum mit einem Dogen, der Rössern den Kopf abschlug und die Knochen der Blinden raubte. Robert, fällt Ihnen auf Anhieb ein Museum ein, wo wir mit unserer Suche beginnen sollten?«
In Gedanken ging Langdon bereits die bekanntesten Museen von Venedig durch: die Galleria dell’Accademia , das Ca’Rezzonico , der Palazzo Grassi , die Peggy Guggenheim Collection und das Museo Correr . Doch auf keines davon schien die Beschreibung zu passen.
Langdon blickte wieder auf den Text.
Im vergoldeten Mouseion der Heiligen Weisheit
Langdon lächelte. »Venedig hat tatsächlich ein Museum, auf das die Beschreibung ›vergoldetes Mouseion der Heiligen Weisheit‹ passt.«
Sowohl Ferris als auch Sienna sahen ihn erwartungsvoll an.
»Den Markusdom«, erklärte er. »Die größte Kirche von Venedig.«
Ferris schien nicht überzeugt. »Die Kirche ist ein Museum?«
Langdon nickte. »Ähnlich den Vatikanischen Museen. Mehr noch: Der Innenraum des Markusdoms ist berühmt für seine umfassende Vergoldung.«
»Ein vergoldetes Mouseion«, sagte Sienna aufgeregt.
Langdon nickte. Er hegte keinerlei Zweifel, dass es sich bei dem Markusdom um den vergoldeten Tempel handelte, von dem im Gedicht die Rede war. Jahrhundertelang hatten die Venezianer den Markusdom La Chiesa d’Oro genannt, die Kirche aus Gold. Für Langdon war der Dom eines der atemberaubendsten Gotteshäuser der Welt.
»In dem Gedicht heißt es ›kniet nieder‹«, fügte Ferris hinzu. »Und in einer Kirche ist es völlig normal, sich hinzuknien.«
Sienna tippte emsig auf der kleinen Tastatur. »Ich füge den Markusdom hinzu. Das muss der Ort sein, wo wir nach dem Dogen suchen sollen.«
Langdon wusste, im Markusdom herrschte kein Mangel an Dogen. Schließlich war er für sie eine Art Privatkapelle gewesen. Ermutigt richtete er den Blick wieder auf den Text.
Kniet nieder im vergoldeten Mouseion der Heiligen Weisheit
Dann leget das Ohr auf den Boden
Und folgt dem Klang des tropfenden Wassers
Tropfendes Wasser? , überlegte Langdon. Fließt Wasser unter dem Markusdom hindurch? Die Frage war albern. Unter der gesamten Stadt befand sich Wasser. Jedes Gebäude in Venedig sank langsam immer tiefer in den weichen Untergrund, und Wasser drang ein. Langdon rief sich den Dom ins Gedächtnis und versuchte sich vorzustellen, an welcher Stelle man tropfendes Wasser hören könnte. Und wenn wir es hören, was sollen wir dann tun?
Langdon las die letzten Zeilen vor:
Folgt ihm tief in den Versunk’nen Palast
Denn hier im Dunkel lauert das chthonische Monster
In den blutroten Wassern
Der Lagune, in der sich nie spiegeln die Sterne.
Das Bild beunruhigte ihn. »Also gut. Offensichtlich sollen wir dem Wasser folgen und … und so zu irgendeiner Art Versunkenem Palast gelangen.«
Nervös kratzte Ferris sich das Gesicht. »Was ist denn ein chthonisches Monster?«
»Ein unterirdisches«, antwortete Sienna. Ihre Finger huschten noch immer über das
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