Inferno
einem Boot überquert? Es schien unwahrscheinlich. Dennoch drängte ihr Instinkt sie, der Polizeifunkmeldung nachzugehen, die auf den Palazzo Vecchio verwies.
»Alle Kameras heraus, per favore !«, rief in diesem Moment eine laute Frauenstimme mit starkem britischem Akzent.
Vayentha wandte sich um und sah eine Fremdenführerin, die sich hektisch bemühte, ihre Herde aus Touristen über den Ponte Vecchio zu scheuchen.
»Über Ihnen befindet sich das größte Meisterwerk Vasaris«, rief sie mit einstudierter Begeisterung und lenkte jedermanns Blick mit einer Handbewegung nach oben.
Bis zu diesem Moment war Vayentha nicht aufgefallen, dass entlang der Brücke – über den Läden – ein zweites Stockwerk existierte, das aussah wie eine Reihe schmaler Wohnungen.
»Der Vasari-Korridor«, verkündete die Fremdenführerin. »Er ist fast einen Kilometer lang und bot den Medici die Möglichkeit, ungesehen von ihrer Residenz im Palazzo Pitti zum Regierungssitz im Palazzo Vecchio zu gelangen … und umgekehrt.«
Vayenthas Augen weiteten sich, als sie das tunnelartige Gebilde über den Läden genauer in Augenschein nahm. Sie hatte von dem Korridor gehört, wusste jedoch nur sehr wenig darüber.
Er führt zum Palazzo Vecchio?
»Die wenigen unter uns mit guten Beziehungen können den Korridor selbst heute noch betreten«, erklärte die Fremdenführerin. »Eine spektakuläre Galerie reicht vom Palazzo Vecchio bis zur nordwestlichen Ecke des Palazzo Pitti …«
Was immer die Fremdenführerin danach noch sagte, Vayentha hörte es nicht mehr.
Sie sprintete bereits zu ihrem Motorrad.
KAPITEL 41
Langdons Kopfverletzung pochte wieder, als er und Sienna sich zu den beiden Wachen und Marta in den Videokontrollraum zwängten. Der Raum bot kaum genug Platz für alle und war ausgestattet mit einem Rack voll surrender Festplatten und einem Computermonitor. Die Luft war drückend heiß, und es stank nach altem Zigarettenqualm.
Langdon hatte sofort das Gefühl, die Wände ringsum würden sich aufeinander zu bewegen.
Martha setzte sich vor den Videomonitor, auf dem bereits das körnige Schwarzweißbild des andito zu sehen war, aufgenommen von einer Position über der Tür. Der Zeitstempel verriet, dass die Videoaufnahme vierundzwanzig Stunden alt war – unmittelbar vor Museumsöffnung, lange vor dem Eintreffen Langdons und des mysteriösen il Duomino am vergangenen Abend.
Der Wachmann startete den Schnellvorlauf, und Langdon verfolgte, wie im Zeitraffer ein Strom von Touristen im andito ein und aus ging. Die Totenmaske war von dieser Position aus nicht zu sehen, doch offenbar lag sie noch in der Vitrine, denn mehrmals blieben Touristen stehen, um sie zu betrachten oder Fotos zu schießen, ehe sie weitergingen.
Bitte beeilen Sie sich , flehte Langdon in Gedanken. Er wusste, dass die Polizei auf dem Weg war, und erwog, ob er und Sienna besser vorher verschwinden sollten. Andererseits mussten sie das Video sehen. Was immer es zeigte, es würde eine Reihe offener Fragen beantworten.
Das Playback ging weiter, schneller jetzt, und die Schatten wanderten durch den Raum. Menschen huschten hinein und hinaus, und schließlich verebbte der Touristenstrom ganz. Der Zeitstempel raste an der 17:00 vorbei, die Lichter verloschen, und Stille kehrte ein.
Fünf Uhr nachmittags. Das Museum schließt.
»Aumenti la velocità«, ordnete Marta an. Sie beugte sich vor und starrte angestrengt auf den Schirm.
Das Video raste mit unverminderter Geschwindigkeit weiter, bis unvermittelt, gegen zehn Uhr abends, die Beleuchtung wieder eingeschaltet wurde.
Rasch verlangsamte der Wachmann die Wiedergabe auf normale Geschwindigkeit.
Einen Moment später tauchte die Gestalt von Marta Alvarez auf, dicht gefolgt von Langdon. Er trug seinen vertrauten Harris-Tweed, eine gebügelte beigefarbene Hose und seine Korduan-Halbschuhe. Sogar die Mickey-Mouse-Uhr glitzerte beim Gehen an seinem linken Handgelenk.
Da bin ich … bevor jemand mich niedergeschossen hat.
Er empfand es als zutiefst beunruhigend, sich selbst bei einem Museumsbesuch zu beobachten, an den er sich nicht erinnern konnte. Ich war also gestern Abend hier … und habe Dantes Totenmaske besichtigt? Irgendwie hatte er es geschafft, zwischen diesem Zeitpunkt und dem heutigen Morgen nicht nur seine Kleidung und seine Mickey-Mouse-Uhr zu verlieren, sondern auch zwei Tage seiner Erinnerung.
Das Video lief weiter, und er und Sienna rückten dicht hinter Marta, um die Geschehnisse besser verfolgen
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