Infernoclub 3 Mein verlockender Earl
zu können. Akkurat frisierte Dandys, Hüte tragende verwöhnte Ehefrauen reicher Herren. Ein paar wenige gelehrt anmutende Personen - Archivare des Britischen Museums und der Bodleian-Bibliothek aus Oxford.
Doch all diese Personen bemerkte Jordan nur flüchtig, weil sein Interesse anderen galt. Wo seid ihr ? Zeigt euch, ihr verdammten Bastarde...
Er konnte den Feind förmlich spüren, irgendwo hier in der Menschenmenge - doch um wen genau handelte es sich? Welche der Reichen und Mächtigen Londons waren zu geheimen Handlangern des düsteren Prometheusianer-Kultes geworden?
Geduld. Die Gebote für die Schriftrollen des Alchimisten würden die Bösewichte bald ans Tageslicht befördern. Doch auch jetzt schon sollte es keine Schwierigkeit darstellen, sie unter all den Menschen zu finden.
Jordans Erfahrung nach bargen die Augen der Prometheusianer einen auffällig leeren, seelenlosen Ausdruck, der sie verriet. Vermutlich raubten ihnen ihre bösen Aktivitäten jegliche Lebensfreude.
Während der Earl den richtigen Moment abwartete, fiel sein suchender Blick auf die Reihe, in der Mara gesessen hatte. Der Stuhl der Viscountess war immer noch leer, genauso wie der Platz in Jordans Leben, der Mara gehört hätte, wäre es möglich gewesen, ihr die Wahrheit anzuvertrauen.
Doch Jordan hatte es nicht gewagt. Sosehr er sie gewollt hatte, sie war schlicht zu impulsiv, unbesonnen, zerbrechlich und unreif gewesen. Auf keinen Fall hätte er das Leben seiner Ordensbrüder in die Hände eines siebzehnjährigen Mädchens legen können, die noch erwachsen werden musste.
Ausdruckslos starrte der Earl auf den leeren Stuhl und sah Mara vor seinem geistigen Auge dort sitzen. Eine ganze Dreiviertelstunde lang hatte er sie betrachtet und in seinem eigenen Saft aus Lust und Abscheu geschmort.
Die Frau, die er fast geheiratet hätte, war dem spätwinterlichen Wetter angemessen in einem reizenden schokoladenbraunen Gewand gekleidet. Zweifellos schmeichelte diese Farbe ihren funkelnden, dunklen Augen ungemein. Ihr üppiges dunkelbraunes Haar trug sie zu einem Knoten im Nacken geschlungen, ein starker Kontrast zu ihrer milchweiß leuchtenden, zarten Haut.
Zugegebenermaßen war die Zeit gnädig mit der Dame umgegangen. Mit den Jahren war Mara noch attraktiver und interessanter geworden.
Schmerz durchzuckte ihn, während er sie beobachtet hatte.
Warum bloß hatte Mara ihn so enttäuscht?
Oft hatte Jordan darüber nachgedacht, wie anders sein Leben heute wohl aussehen würde, besäße er ein Heim und eine Familie. Ein Funken Normalität, der im starken Gegensatz zu seinen blutigen, brutalen Aufträgen stand. Eine bodenständige Ehefrau, die ihm Sicherheit bot, und ein paar Kinder, die ihm das Gefühl gaben, sein Kämpfen habe einen Sinn.
Mehr hatte er nie vom Leben gewollt, doch nachdem Mara ihn im Stich gelassen hatte, hatte auch sein Traum seinen Zauber verloren.
Mit einem Grinsen vertrieb Jordan den Anflug von Selbstmitleid. Gleichzeitig fragte er sich jedoch unwillkürlich, ob die charmante, braunäugige Kokette jemals erwachsen geworden war. Vielleicht benutzte sie ihren Witwenstand nur dazu, auf Männerjagd zu gehen.
Das tun sie doch alle, diese extravaganten, unabhängigen Witwen, dachte Jordan zynisch. Er und seine Ordensbrüder hatten viele von ihnen verführt. Ja, die Damen waren förmlich herumgereicht worden.
Wenn Mara ihre neu erworbene Freiheit zu diesen Zwecken nutzte, würde die morgige Nacht eine sehr interessante Möglichkeit für Jordan bereithalten. Seit Jahren fragte er sich, wie es wohl wäre, Mara zu lieben. Sie, die ihn in Gedanken bis in die entlegensten Winkel der Erde verfolgt hatte ...
„Verkauft!“ Der laute Schlag des Hammers riss Jordan aus seinen Grübeleien.
Die römischen Vasen gingen an einen beleibten Herrn, dessen Kunstagent ihm gratulierte. Sofort spürte Jordan die Spannung im Raum steigen, als würde sie sich in Kürze in einem Blitzschlag entladen. Nach außen hin wirkte er zwar gelassen, doch seine Wachsamkeit erhöhte sich.
„Meine Damen und Herren“, wandte sich der Auktionator an das reiche Publikum, „als Nächstes bieten wir Ihnen einzigartige mittelalterliche Dokumente von einem anonymen Verkäufer an. Die Schriften wurden erst kürzlich entdeckt und in ihrer fünfhundertjährigen Geschichte noch nie zum Kauf angeboten.“
Das einzige Geräusch im Saal waren die Regentropfen, die eine Böe des Märzwindes gegen die Fensterscheiben trieb.
„Wir präsentieren Ihnen sechs
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