Infinity (German Edition)
ihnen durch und Klara schoss eine heiße Welle durch den Körper.
Nicht schon wieder!
Entschlossen drängte sie zur Musikanlage vor, wo der DJ an den Reglern hantierte. »Mach die Musik aus!«, brüllte sie ihm zu und deutete hektisch das Zeichen für Time-out, das jeder von ihnen aus dem Sportunterricht kannte. Weil der Typ nur mit den Schultern zuckte, hechtete sie kurz entschlossen über das Mischpult und riss ihm die Kopfhörer herunter.
»Musik aus!«, wiederholte sie und ihre Stimme überschlug sich. Nun waren die Schreie bereits deutlich zu hören.
Das plötzliche Fehlen der dröhnenden Geräuschkulisse löste Verwirrung aus. Die Partygäste rissen die Köpfe herum, Murren, Protestrufe und Forderungen nach Musik wurden laut. Die ersten schimpften auf den DJ, und im allgemeinen Durcheinander fielen die Kampfgeräusche nicht gleich auf. Doch Klara und Alen schlugen sich zum hinteren Teil der Disco durch, wo offenbar eine heftige Rauferei im Gange war. Nach und nach wurden die anderen auch darauf aufmerksam.
»Scheiße! Was ist da los?«
»Was soll das?«
»Hört sofort mit dem Irrsinn auf!«
»Blut! Das ist doch Blut!«
»Jemand sollte die Rettung rufen!«
»Ja! Und die Polizei!«
»Schluss! Aufhören! Saufköpfe, blöde!«
Schluchzen mischte sich in die aufgeregten Stimmen. »Simon! Das ist Simon! Er blutet! Mein Gott! Ihr tretet doch auf ihn drauf! Lasst mich durch, verdammt!« Klara spürte eine verschwitzte Hand an ihrem Arm. Ein Mädchen aus der Parallelklasse, das sie vom Sehen kannte, versuchte, an ihr vorbeizukommen. Ihr Gesicht war von Angst und Panik gezeichnet.
Eine plötzliche Ruhe breitete sich in Klara aus. Als hätte jemand den Ton auf stumm geschaltet, prallten die Schreie und der Lärm an ihr ab. Wie ein Computer analysierte ihr Hirn das Geschehen. Die Situation war kurz davor, außer Kontrolle zu geraten. Einige drängten panisch zum Ausgang. Doch sie kamen nicht gegen diejenigen durch, die an den Ort der Schlägerei zu gelangen versuchten. Manche wollten helfen, andere nur etwas sehen. Die Ersten wurden zu Boden gerissen. Klara war sich bewusst, dass die Gefahr mit jeder Minute wuchs, dass auch Unbeteiligte verletzt wurden.
Sie verdrängte die eigene Panik und die Bilder von Jonas und Rudi, die in ihr hochstiegen. Entschlossen kämpfte sie sich zur Anlage zurück und griff nach dem Mikro. Das durchdringende Pfeifen einer Rückkopplung gellte durch den Keller, als sie an einem der Regler drehte. Plötzlich war Lucie neben ihr. Wie selbstverständlich kam sie ihr zu Hilfe, betätigte ein paar Knöpfe und nickte Klara dann zu.
Der grelle Ton hatte eine hypnotische Wirkung. Die meisten blieben dort, wo sie waren, stehen. Auch die Rauferei war zum Stillstand gekommen.
»Ihr macht jetzt genau, was ich euch sage!«
Klaras Stimme tönte verzerrt aus den Musikboxen. Sie kam ihr selbst erschreckend schrill vor. Sie musste sich dazu zwingen, weiterzusprechen. Ihr Herz hämmerte im Hals und gegen ihren Brustkorb. Aber ihr Kopf arbeitete immer noch nach Plan.
»Alen, Sebastian, Mischko – ihr kümmert euch um die Verletzten. Alen ist Medizinstudent. Er wird euch sagen, was ihr tun sollt. Alen, wenn du noch mehr Leute brauchst, die dir helfen sollen, wende dich an Lucie. Sie kümmert sich darum, dass du alles bekommst, was nötig ist. Und Lucie, ruf auch bei der Rettung an. So wie es aussieht, werden wir sie benötigen. Die anderen, die nichts zu tun haben, gehen ruhig und ohne zu drängen nach draußen. Wartet aber oben. Vielleicht werden ja noch Helfer benötigt.«
Ein Teil von ihr war überrascht, dass alle ihre Anweisungen sofort widerspruchlos befolgt wurden, als hätten die Jugendlichen nur darauf gewartet, dass ihnen jemand sagt, was zu tun sei. Dieser Teil wollte mit den Zähnen klappern und losheulen. Doch noch war auch er unter der Kontrolle des Programms, das so plötzlich in ihrem Hirn gestartet war und für Ruhe und Ordnung sorgte. Erst als alle Verletzten versorgt waren und Alen ihr mitteilte, dass die Sanitäter gerade das letzte Opfer der Schlägerei in den Krankenwagen verfrachteten, ging ein Zittern durch ihren Körper und sie sackte auf die Knöpfe des Mischpults nieder. Sie bekam gar nicht mit, wer neben ihr stand und ihr über den Rücken streichelte. Aber es war ihr auch egal.
Jemand hatte in der Schulküche Tee gemacht. Offenbar wollte nach all der Aufregung keiner sofort nach Hause gehen. Nachdem auch der letzte Krankenwagen abgefahren war, setzten sich Alen,
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