Infiziert
ihn. Hätte er es in die NFL geschafft, würde er irgendwo in einem großen Haus leben, weit weg von der Hetze dieses Viertels. Er konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass er ein Versager war. Er hätte mehr bekommen sollen als das hier. Die Wohnung war auf ihre eigene Art zwar durchaus nett, und er hasste sich dafür, dass er undankbar war angesichts der Dinge, die er besaß, doch man konnte nicht leugnen, dass es eine billige Wohngegend war.
Vor sieben Jahren hätte niemand es für möglich gehalten, dass er einmal anderswo leben würde als in einem stattlichen Herrenhaus. »Scary« Perry Dawsey, der damals Student im zweiten Jahr an der University of Michigan gewesen war, war zusammen mit Cory Crypewicz von der Ohio State zum All-Big Ten Linebacker ausgewählt worden. Crypewicz ging für die erste Saison nach Chicago. Er verdiente 2,1 Millionen Dollar pro Jahr, nicht gerechnet den Bonus über 12 Millionen, den ihm allein die Unterschrift unter den Vertrag einbrachte. Das war Welten entfernt von Perrys magerem Einkommen als Serviceangestellter.
Dabei war Crypewicz nicht einmal so gut gewesen wie Perry, und das hatte der ganze Bezirk auch gewusst. Perry war ein Monster gewesen. Er hatte zu jener Art von Verteidigern gehört, die ein Spiel durch ihre bloße Wildheit dominieren konnten. Die Presse hatte ihn mit mehreren Spitznamen bedacht: »Bestie«, »Cro-Magnon« und »Fangzahn«. Wie üblich schien Chris Berman von ESPN das letzte Wort zu haben, was Spitznamen anging, und als er ihn zum ersten Mal »Scary« genannt hatte, war die Bezeichnung an ihm hängen geblieben.
Tja, wie ein einziger verdammter Block doch alles ändern konnte.
Die Knieverletzung war schrecklich, ein Totalschaden – Kreuzbandriss, Verletzung des Ligamentum deltoideum und sämtlicher verdammter Bänder im ganzen Umkreis. Sogar der Knochen wurde beschädigt: Das Wadenbein brach und ein Stück der Kniescheibe splitterte ab. Mehrere Operationen und ein Rehabilitationsprogramm, das sich über ein ganzes Jahr hinzog, konnten ihm sein ursprüngliches Tempo nicht wiedergeben. Tatsache war, dass er es einfach nicht mehr schaffte. War er zuvor über das Footballfeld gestürmt und hatte jeden, der so verrückt war, sich ihm in den Weg zu stellen, seine wilde Autorität spüren lassen, schaffte er es heute nur noch zu humpeln, rennenden Spielern hinterherzustolpern, die er nie einholen würde, und in Blocks zu prallen, denen er nicht ausweichen konnte.
Ohne die Entspannung, die ihm das körperlich anstrengende Footballspiel verschaffte, drohte Perrys gewalttätiger Zug ihn innerlich aufzufressen. Zum Glück gab es Bill, der ihm half, zurechtzukommen. Bill war während der zwei Jahre nach seiner Verletzung immer in seiner Nähe gewesen. Er
war Perrys Gewissen geworden und hatte ihm immer wieder sein aufbrausendes Temperament bewusst gemacht.
Perry zog die Handbremse und stieg aus seinem Ford. Er war in Michigan geboren und aufgewachsen und liebte die kalten Monate, doch der Winter ließ den Gebäudekomplex noch verlorener, deprimierender und hoffnungsloser aussehen. Alles wirkte fahlgrau und leblos, als hätte eine böse Macht wie in einem Märchen alle Farben aus der Landschaft aufgesogen.
Er schob die Hand in die Tasche. Die zerknitterte weiße Walgreens-Tüte war immer noch dort. Das Jucken war einfach zu heftig geworden. Nur ein paar Blocks von seiner Wohnung entfernt hatte er vor einem Drugstore angehalten und eine Tube Cortaid gekauft. Er hatte das Gefühl, als habe er nachgegeben, als zeige die Tatsache, dass er etwas gegen das Jucken gekauft hatte, was für ein schwacher Mensch er war. Das war dumm, und doch konnte er nichts dagegen tun.
Er fragte sich, welch unbezahlbare Weisheiten sein Vater im Hinblick auf die Medizin geäußert hätte. Wahrscheinlich so etwas wie: Was, du kannst nicht mal das bisschen Ausschlag ertragen? Mein Gott, Junge, so was macht mich wirklich sauer. Jemand muss dir ein wenig Disziplin beibringen. Und dann hätte er dieser Bemerkung mit dem Gürtel, dem Handrücken oder der Faust Nachdruck verliehen.
Der gute alte Dad. Wirklich human und durch und durch ein guter Kerl. Perry wischte den Gedanken beiseite. Sein Vater war schon lange tot – an Krebs gestorben, was er sich redlich verdient hatte. Perry brauchte sich mit diesem Menschen nicht mehr zu beschäftigen.
Über den Schnee auf dem Parkplatz rutschend – jene dünne
Schicht, mit der anscheinend keine Schneeschippe der Welt fertig wurde –, erreichte
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