Ingrid
doch deine Freundin? Oder deine Geliebte? Ist das nicht lästig, so mit Ingrid dabei, meine ich?«
»Ingrid ist nicht hier. Guten Tag.«
Ich drückte gegen die Tür. »Ich habe sie selbst gesehen«, sagte Nel.
Er wandte sich mit einem Ruck ihr zu. »Das kannst du deiner Großmutter erzählen.«
»Lass meine Großmutter aus dem Spiel«, erwiderte Nel. »Deine Frau hält sich in einem der Zimmer im Erdgeschoss auf, auf der rechten Seite …« Sie deutete dahin, wo es sich ungefähr befinden musste. »Ich habe sie am Fenster gesehen.«
»Das ist lächerlich«, zischte er. »Haut ab, oder ich rufe die Polizei.«
»Prima«, antwortete ich. »Dann brauchen wir das Haus nicht selbst zu durchsuchen.« Peter ließ die Tür los. »Was willst du von Ingrid?«
»Ich muss sie sprechen.«
»Warum?«
»Ihr seid alle beide vorgeladen. Dir ist es vielleicht egal, aber wenn Ingrid nicht darauf reagiert, ist sie Tommy automatisch los. Und von diesem Zeitpunkt an wird sie wegen Kindesentführung gesucht.« Ich fantasierte eifrig drauflos. »Es wird ein internationaler Haftbefehl erlassen, via Interpol, und von da an hält sie sich hier illegal auf. Ich kann innerhalb einer halben Stunde eine Kopie der Vorladung auftreiben, sodass auch die Polizei in Cala Llonga erfährt, was hier los ist. Amrita bekommt dann womöglich ebenfalls Schwierigkeiten, weil sie einer Kriminellen Unterschlupf bietet, die außerdem des Mordes verdächtigt wird.«
»Des Mordes?«
Ich schaute ihn unverwandt an. »Hältst du mich vielleicht für dämlich?«
Wie Kampfhähne standen wir einander gegenüber. Er wandte als Erster den Blick ab, versuchte es aber zu verbergen, indem er Nel ansprach: »Du kannst sie gar nicht gesehen haben. Du kannst hier überhaupt nicht hineinschauen von dieser Seite aus, wie kommst du nur darauf?«
»Du giltst als ihr Komplize«, fuhr ich fort. »Du hast versucht, Beweise zu vernichten. Du hast ihre Fingerabdrücke von der Mordwaffe gewischt und dafür deine hinterlassen, und du hast die Glasscherben von draußen reingefegt. Außerdem hast du ihr durch dein falsches Geständnis eine Möglichkeit geboten zu flüchten. Insgesamt heißt das für dich mindestens sechs Monate Haft.«
»Du kannst uns nichts beweisen«, zischte er unvermittelt. »Das Einzige, was du kannst, ist meinetwegen tot umfallen.«
Ich sah, wie Nel lächelte.
»Im Augenblick kannst du dir selbst einen Gefallen tun, indem du dafür sorgst, dass dem Jungen nichts geschieht«, sagte ich. »Du weißt genauso gut wie ich, dass Ingrid durchdreht. Du bist für Tommy verantwortlich.«
Peter schwieg eine Weile lang. »Sie ist nicht hier«, sagte er dann. Seine Stimme klang plötzlich tonlos, und er ließ seine Schultern sinken, als finde er sich mit etwas Unvermeidlichem ab. Oder aber er war ein guter Schauspieler.
»Ich glaube dir nicht«, sagte ich. »Wir werden dieses Haus weiterhin observieren. Sie kann doch nicht ewig in diesem Zimmer da unten sitzen bleiben, wenn draußen die Sonne scheint.«
Nel hielt ihre Kamera hoch und sagte: »Ein Foto würde schon genügen.«
Peter seufzte. Er warf einen flüchtigen Blick über die Schulter und sagte dann: »Also gut, dann schaut nach, wenn ihr mir nicht glaubt.«
Er drehte sich um, und wir folgten ihm die Treppe hinunter.
Wir gelangten auf einen gefliesten Treppenabsatz, von dem aus er uns das Wohnzimmer an der Terrasse mit den Arkaden zeigte. Ein schöner Raum, typisch spanisch eingerichtet mit Gemälden, Kerzenleuchtern, Stoffen in warmen Farben. Amrita hatte Geschmack. Sie hielt sich in der angrenzenden Küche auf, unschuldig mit dem Ausräumen der Spülmaschine beschäftigt. Nel und ich blickten uns aufmerksam um, alle beide auf der Suche nach auffällig vielen Tellern oder verräterischem Kinderbesteck. Wir entdeckten nichts Verdächtiges, doch ein Kind wie Tommy konnte auch von normalen Tellern und mit einer Kuchengabel essen.
Peter zeigte uns das Schlafzimmer der Dame des Hauses mit seinen gut gefüllten Kleiderschränken, führte uns geflieste Stufen hinunter zur unteren Etage, in Gästezimmer mit leeren Schränken und die dazugehörigen Badezimmer. Das Bad roch benutzt, nach Seife und Shampoo. Das Zimmer, dessen Gardine Nel sich hatte bewegen sehen, wirkte unbewohnt. Farbenfrohe Decken auf einem Doppelbett, bunte Kissen auf den Stühlen und keine Spur von der Unordnung, die ein eingesperrtes, ungeduldiges Kleinkind verursachen würde. Im Flur führte eine kleine Treppe zu einer Tür, oder besser
Weitere Kostenlose Bücher