Ingrid
schmeckende Leberwurst. Was Metzger und Hausfrauen am Mittwoch, dem offiziellen Hackfleischtag, so auf den Tisch bringen, steht, wenn man Hunger hat oder zu viel getrunken, in keinem Vergleich zu Kneipenfrikadellen, die der Chef persönlich auf der Basis rudimentärer Kochkenntnisse aus Zwieback, altem Brot, willkürlichen Fleischsorten, Gewürzen, Essiggurkenstückchen, Muskatnuss und Resten vom Küchenfußboden fabriziert hat. Ich hatte zwar nichts getrunken, aber mächtigen Hunger, weil ich direkt nachdem CyberNel mir die Daten von Jennifers Yuppierechtsanwalt besorgt hatte, zu ihm hingegangen war, anstatt erst mit Nel einen Hamburger zu essen. Auch der Appetit auf Fastfood kann mich urplötzlich überfallen, häufig in Verbindung mit nostalgischen Erinnerungen an bestimmte Phasen meiner Vergangenheit.
Ich saß an einem Tisch hinten im Lokal und machte mich gerade an meine zweite Frikadelle. Die erste ist immer die leckerste, danach lässt der Genuss oft etwas nach.
Ich trank ein Pils, was ich ebenfalls selten tue, und wischte meine Finger an den restlichen Fetzen einer Papierserviette ab. Ich konnte mir vorstellen, dass ich trotz meines Begrüßungslächelns einen schmierigen Eindruck machte und hatte Verständnis für den Ausdruck der Aversion in Niessens Gesicht. Er setzte sich mir gegenüber auf die äußerste Stuhlkante, als sei ihm jetzt schon klar, dass er sehr schnell wieder den Wunsch haben würde zu gehen.
»Nehmen Sie doch eine Frikadelle«, schlug ich vor.
Seine Lippen waren zu einem Strich zusammengekniffen und sein Schnurrbart tanzte pikiert mit, als er fragte: »Wie viel willst du haben?«
Einen Moment lang war ich perplex. Es lag also nicht an der Frikadelle. »Wie viel was?«, fragte ich gespielt naiv.
Gereizt wandte er den Blick ab. »Was solltest du sonst von mir wollen?«
»Bist du von ganz alleine darauf gekommen?« Wenn dieser junge Rotzlöffel mich duzte, konnte ich das schon lange, fand ich.
Er zuckte aufsässig mit den Schultern. Natürlich hatte er in der vergangenen halben Stunde nicht untätig herumgesessen. Ich hatte mich der Einfachheit halber mit dem Ausweis des Ermittlungsbüros von Meulendijk legitimiert, der unter Umständen das Wort Erpressung hatte fallen lassen, falls er ihm von meinem früheren Umgang mit höheren Justizbeamten erzählt hatte. »Ich arbeite nur noch selten für Meulendijk, aber ich könnte mir vorstellen, dass er mich verdächtigt …« Mir wurde bewusst, dass ich mich verteidigte, und ich schwieg verärgert.
Der Wirt unterbrach unserer Unterhaltung. Er war ein kleiner Mann mit Glatze und einer weißen Schürze. »Was darf’s denn sein?«, fragte er Niessen. »Auf der Straße können Sie sich ohne alles unterhalten, bei uns bestellt man ein Pils dazu, einen kleinen Cognac, eine Portion hiervon oder davon.«
»Ich kann die Frikadellen empfehlen«, sagte ich.
Niessen ignorierte mich, bestellte Kaffee und sagte, sobald der Wirt wieder weg war: »Wir sollten dieses Gespräch nicht länger hinauszögern als unbedingt nötig.«
Ich schaute ihn an und hatte eine Eingebung: »Jennifer hat dich erpresst!«
Er antwortete nicht, aber sein Pokerface war nicht besonders gelungen, gewiss nicht für einen Rechtsanwalt. Ich lachte leise. »Und jetzt glaubst du, ich würde die Milchkuh an ihrer Stelle weitermelken?«
»Du weißt doch alles?«, sagte er wütend. »Dass sie schwanger wurde, dass ich sie habe sitzen lassen? Das ist doch ihre Version der Geschichte. Und du warst ihr Nachbar. Oder wie kommst du sonst an den Brief?«
Ich schüttelte den Kopf. »Jennifer war eine nette Frau und die Diskretion in Person. Ich kann mit dir den Fußboden aufwischen, wenn du mich beleidigst, aber sie kann sich nicht mehr wehren.«
Er schnaubte voller Verachtung. »Aber wie sonst solltest du auf die Idee gekommen sein, dass ich der Vater bin?«
Ich schob die Reste meiner Kneipenfrikadelle beiseite und benutzte mein Taschentuch, um mir die Senfspuren von den Fingern zu wischen. »Dafür brauchte ich deinen Sohn nur einmal kurz auf meinem Gartenweg zu sehen.«
Niessen zog die Stirn in Falten. Der Wirt brachte seinen Kaffee und trollte sich enttäuscht, als ich weitere Frikadellen dankend ablehnte. »Willst du damit sagen, dass mir das Kind ähnlich sieht?«, fragte Niessen schließlich.
»Wie Dolly ihrem Ausgangstier. Es ist das reinste Wunder, dass es dem Brigadier aus Geldermalsen nicht aufgefallen ist. Der war doch hier, oder? Andererseits sucht er ja nicht den Vater,
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