Ingrid
Experten auf unserem Gebiet sind.«
Ich war mit dem Tee beschäftigt und sah, wie sie sich umschaute, mit Augen, die es gewohnt waren, zu beobachten. Keine Plätzchen, dachte sie sicher, ein Junggeselle, ein etwas trauriger Mann allein in einem zu großen Haus, es sieht einigermaßen sauber aus, vielleicht, weil er erst seit kurzer Zeit hier wohnt und noch keine Zeit hatte, die Unordnung zu verbreiten, die hier sicher bald herrschen wird.
»Ich helfe gerne«, sagte ich. »Experte oder nicht.«
Sie schaute mich auf meine ironische Bemerkung hin an. »Ein ehemaliger Kripobeamter«, sagte sie. »Das nützt schon etwas. Mevrouw Brack möchte gern, dass wir uns mit Ihnen unterhalten, weil Sie gewisse Dinge bestätigen können …«
»Habe ich richtig verstanden, dass es mit der Untersuchung eilt?«
Sie setzte sich an meinen weißen Tisch. Ihre Bewegungen waren energisch und effizient. »Ja, das muss sein, weil dem Ehepaar bereits vorläufig die Pflegschaft für das Kind zuerkannt wurde. Mevrouw Brack hat sich glücklicherweise ausgezeichnet vorbereitet, sie hatte das erforderliche Gesundheitszeugnis bereits eingeholt und konnte den Bruder der Verstorbenen dazu bewegen, uns in Arnheim aufzusuchen.«
»Der Bruder braucht einer Adoption doch gar nicht zuzustimmen?«
Sie rührte Zucker in ihren Tee und nickte. »Stimmt. Wir würden ihn als einziges verbliebenes Familienmitglied natürlich immer anhören, aber er hat keinerlei Verpflichtungen, ebenso wenig wie der leibliche Vater. Mevrouw Brack erzählte, dass Sie ihn für sie ausfindig gemacht haben, weil sie Angst hatte, dass er sein Kind vielleicht später zurückfordern könnte?«
»Ja, aber die Gefahr ist gleich Null«, antwortete ich. »Dieser Meneer lebt sein eigenes Leben, Karriere, eine Verlobte.« Sie zog eine Augenbraue hoch, und ich sah, wie sie in Gedanken egoistische Männer und ähnliche Klischees heraufbeschwor. Ich verspürte das Bedürfnis, meinen Klienten zu verteidigen. »Es war Jennifers Entscheidung, das Kind zu behalten«, sagte ich: »Der Mann wusste noch nicht einmal, dass sie schwanger war. Sie hat ihn vor vollendete Tatsachen gestellt, aber trotzdem hat er sie finanziell unterstützt und dafür gesorgt, dass sie hierher ziehen konnte.«
Sie nickte und lächelte breit. »Aha, ein Heiliger.«
»Er ist kein Heiliger, entspricht aber auch nicht gewissen feministischen Vorurteilen.«
»Ich habe nichts gesagt«, bemerkte sie spöttisch.
»Ich habe aber gesehen, dass du das gedacht hast.«
Sie nahm ihre Brille ab. »Stimmt«, gab sie zu. Ihre Augen funkelten, und plötzlich sah sie attraktiv aus. »Gegen solche bösen Gedanken kann man sich manchmal einfach nicht wehren, jedenfalls in meinem Beruf.«
Ich erwiderte ihr Grinsen. Wir tauschten den Tee gegen einen kleinen Aperitif, und danach fiel das Reden leichter. »Unsere Untersuchungen sind fast abgeschlossen«, sagte sie, nachdem wir ein wenig geplaudert hatten. »Wir brauchen keine Beweise, auch nicht diesen Brief, den ihr die Mutter des Kindes geschrieben hat. Das Ehepaar ist gesund, die Lebensumstände sind okay, und die beiden sind offensichtlich ganz vernarrt in Tommy, besonders sie …«
»Ingrid.«
»Ja. Wenn ein Kind plötzlich Waise wird und nicht bei Verwandten unterkommt, fragt der Richter nur danach, was für das Kind am besten ist. Beziehungsweise was besser ist, eine Pflegefamilie, ein Waisenhaus, oder die Adoption durch ein Ehepaar, das das Kind lieb hat, schon seit Jahren daran gewöhnt ist, es zu versorgen et cetera.«
Ich hob mein Glas. »Also, Untersuchung abgeschlossen?«
Sie trank nicht mit, sondern fuhr mit den Fingerspitzen über den weißen Kunststoff meines Küchentischs.
»Nicht abgeschlossen?«, fragte ich.
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht so recht. Sowas darf man eigentlich gar nicht fragen, schon gar nicht einen Nachbarn.« Sie zögerte erneut und schüttelte den Kopf. »Ich kann dieses Ehepaar einfach noch nicht richtig einschätzen, das ist alles.«
»Und jetzt willst du wissen, was ein altgedienter Kripobeamter darüber denkt?«
Mit einem seitlichen Nicken gab sie es zu.
»Ich bin weder ein Gutachter noch ein Psychiater«, sagte ich leichthin. »Ich kenne die beiden auch kaum. Auf den ersten Blick würde ich sagen, dass er sie anbetet, und sie die Hosen anhat.« Ich schwieg, weil ich plötzlich an Ingrid dachte, in meinem roten Bademantel, hier in dieser Küche. Warum? Die Frau, die jetzt hier saß, schaute mich forschend an, und
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