Ingrid
die Frage, ob ich gesund und als Mutter geeignet bin. Warum ich ihn adoptieren will, und ob die Lebensumstände stimmen, all diese Dinge eben.« Ingrid legte eine Hand auf Tommys Köpfchen und lächelte ihn aufmunternd an.
Tommy konnte unserem Gespräch wahrscheinlich nur teilweise folgen, aber trotzdem widerstrebte es mir, vor seinen Ohren über seine Adoption oder womöglich über seinen Vater zu reden. Ich hatte weder Kaninchen noch Spielzeug. Normalerweise bin ich dagegen, dass Kinder tagsüber fernsehen, vor allem, wenn die Sonne scheint, aber im Moment viel mir nichts Besseres ein. »Bestimmt gibt es Zeichentrickfilme im Kinderprogramm«, sagte ich. »Ingrid und ich müssen uns einen Augenblick unterhalten, okay?«
Tommy lächelte mich unsicher an und ließ sich mit seiner kleinen Faust in meiner Hand mitführen. Er reagierte scheu und zurückhaltend, was ja ganz logisch war nach dem Schock durch den Verlust seiner Mutter und all den Veränderungen, die sein kleines Leben durcheinanderbrachten. Ich setzte ihn aufs Sofa. Draußen auf der Terrasse, mit ein paar Zweigen, Kieseln und ganz gewöhnlichen Spatzenfedern wäre er vielleicht genauso zufrieden gewesen. Tommy war ein goldiger Junge, gut erzogen und keine Spur hinterhältig oder berechnend. Er war ein kleines Wunder der Natur. Jennifer mochte eine Kriminelle gewesen sein und hatte vielleicht diesen Dämlack von Niessen erpresst, aber jemand, der ein so herzergreifend liebes Söhnchen zurückließ, konnte nicht durch und durch schlecht gewesen sein. Ihr Haus war ein warmer und freundlicher Ort, ihr ganzes Leben mit Tommy war unkompliziert, warm und freundlich gewesen. Ich konnte mir noch immer nicht vorstellen, welchen Grund jemand dafür gehabt haben konnte, diesem Leben mit einem Brecheisen ein Ende zu setzen.
Ingrid hatte Kaffee nach draußen gebracht und eingeschenkt. Sie gab sich die größte Mühe und machte ein verdattertes, ja verletztes Gesicht, als ich ihr erklärte, dass sie mit Tommys schicken Kleidern und seinen geschniegelten Haaren wirklich zu dick auftrug. »Diese Leute wollen viel lieber einen gesunden Jungen sehen, der im Garten spielt und sich dabei die Hände schmutzig machen darf.«
Ich beobachtete die Krähen in den hohen Pappeln, um die plötzlich in mir aufsteigende Wut über den Mord an Jennifer zu verbergen. Mir war nicht klar, was Ingrid und Jennifer miteinander verbunden hatte. Vielleicht beruhte ihr Verhältnis lediglich auf gegenseitigem Interesse: Jennifer brauchte manchmal einen Babysitter und Ingrid genoss es, Tommy um sich zu haben.
Ingrid konnte es ja auch nicht ändern. Es war schon allerhand, dass sie den Jungen adoptieren wollte und er nicht in ein Heim oder zu fremden Pflegeeltern musste. »Warum ziehst du ihm nicht einfach ein Spielhöschen an?«, schlug ich etwas milder gestimmt vor. »Das sind Leute wie du und ich, du musst nichts erzwingen.« Ich lehnte mich zu ihr hinüber und tätschelte ihre Hand. »Das Einzige, was die wollen, ist, dass Tommy es dort gut hat, wo er hinkommt. Sie brauchen nur zu sehen, dass das Kind so gesund ist wie ein Fisch im Wasser und dass du ihn heiß und innig liebst. Es gibt überhaupt keinen Grund für ein negatives gerichtliches Gutachten. Vor allem deshalb nicht, weil Jennifers Bruder sich einverstanden erklärt hat, und auch der Vater des Kindes.«
Ingrid hob überrascht den Blick. »Hast du seinen Vater gefunden?«
»Ja. Er ist Rechtsanwalt. Er kennt sich mit der juristischen Lage aus. Er braucht gar nicht in Erscheinung zu treten, da er das Kind sowieso nie anerkannt hat.«
»Bist du sicher, dass er der Vater ist?«
»Kein Zweifel möglich.«
Sie seufzte erleichtert. »Gott sei Dank.«
»Warum?«
»Na ja, ein Rechtsanwalt …« Sie besaß genügend Taktgefühl, um ein klein wenig in Verlegenheit zu geraten.
»Willst du damit sagen, dass er sicher vernünftiges Erbmaterial geliefert hat?«, fragte ich spöttisch.
»Ich bin froh, dass er keinen Anspruch auf Tommy erhebt.«
Ich studierte ihr Gesicht und fragte mich unwillkürlich, ob ein Kind wirklich besser bei einer Nachbarin als bei seinem leiblichen Vater aufgehoben war. Ich verstand nicht, warum sie sich wegen Tommys Adoption so viele Sorgen machte, es war doch klar, dass ihr niemand Steine in den Weg legen würde. »Er bastelt an seiner Karriere und ist mit der Tochter seines Chefs verlobt, dabei kann er kein illegitimes Kind gebrauchen. Er findet es völlig in Ordnung, dass du Tommy adoptierst.«
»Wie heißt
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