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Ingrid

Ingrid

Titel: Ingrid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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tröstend. »Mami kommt gleich wieder und liest dir deine Geschichte vor.«
    Louise drehte sich an der Tür um und wiederholte: »Mami?«
    Ich lotste sie in den Flur. Ingrid folgte drei Sekunden später, zog die Tür hinter sich zu und schaute Louise wütend an. »Wer sind Sie?«
    »Ich bin die zukünftige Frau von Tommys Vater«, antwortete Louise ruhig. »Das heißt, dass ich Tommys Stiefmutter werde.«
    Ich war schon an der Treppe und schaute mich um. Ingrid war völlig perplex stehen geblieben. »Davon kann keine Rede sein«, sagte sie. »Tommy hat nur eine Mutter, und das bin ich. Das hat der Richter so verfügt.«
    »Ich bezweifle, dass das bereits beschlossene Sache ist. Und wenn, sorgen wir dafür, dass die Entscheidung rückgängig gemacht wird«, sagte Louise. »Ich kann Tommy nicht hier lassen, unter diesen Umständen und nach alldem, was passiert ist. Das können Sie doch sicherlich verstehen.« Sie nickte Ingrid zu und ging zur Treppe.
    »Das wird Ihnen nicht gelingen.« Ingrid war heiser vor Wut. »Tommy gehört mir. Ich bin sein rechtmäßiger Vormund.«
    Louise blieb neben mir stehen. »Tommy braucht keinen anderen Vormund außer seinem Vater. Vielleicht sollten Sie in erster Linie einmal daran denken, was das Beste für Tommy ist.«
    »Dann soll Ihr Verlobter doch erst mal beweisen, dass er überhaupt der Vater ist! Aber selbst wenn – der Richter hat bereits anders entschieden.«
    Louise schaute Ingrid irgendwie mitleidig an und schüttelte den Kopf. »Ich weiß ganz sicher, dass der Richter noch gar nichts entschieden hat«, sagte sie. »Und mein Verlobter kann seine Vaterschaft nötigenfalls beweisen, das wird nicht weiter schwer sein. Meine Entscheidung lautet jedenfalls, dass dies hier ein ungesundes Umfeld für Tommy ist, und die Anwaltskanzlei Louis Vredeling wird sich mit ihrer gesamten Belegschaft bis zum Äußersten dafür einsetzen, dass wir die Vormundschaft erhalten.«
    Sie nickte Ingrid nochmals zu und ging beherrscht die Treppe hinunter.
    Ich sah, dass Ingrid sich nur mit Mühe zurückhielt. Es war, als würden ihre Augen Blitze schleudern, um Louises Korkenzieherlocken in Brand zu setzen. Als sie außer Sicht war, wandte sie sich wütend mir zu: »Wie kannst du es zulassen, dass dieses Weib in mein Haus eindringt, obwohl du weißt, dass sie mir Tommy wegnehmen will? Hast du nicht schon genug angerichtet?«
    »Hör mal zu, Ingrid«, sagte ich beschwichtigend. »Louise wäre sowieso gekommen, mit mir oder ohne mich. Und du wirst garantiert ausreichend Gelegenheit dazu erhalten, deinen Standpunkt zu vertreten.«
    »Recht herzlichen Dank«, sagte Ingrid.
    Und dann schaute sie mich plötzlich verloren und hilflos an, und ich spürte einen Stich der Reue und des Bedauerns. Sie tat mir Leid. Ich suchte nach den richtigen Worten, um sie zu trösten und aufzumuntern, doch bevor ich etwas sagen konnte, drehte sie sich um und verschwand in Tommys Zimmer.
    Louise stand bereits draußen und betrachtete die Umgebung. Es wurde allmählich dunkel. Wir spazierten über den Deich zurück. Ich lud sie zu einer Tasse Kaffee ein, doch sie wollte sofort zurück nach Amsterdam.
    Sie erschauerte, als wir neben ihrem Auto standen. »Ich hätte Tommy einfach mitnehmen sollen«, sagte sie.
    »Damit hättest du dir eine Anzeige wegen Kindesentführung eingehandelt.«
    »Vielleicht wäre es für den Jungen besser gewesen.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Das ist garantiert der falsche Auftakt für Vormundschaftsverfahren.«
    Sie nickte abwesend, als sei sie mit den Gedanken bereits woanders. »Behalte sie bitte ein bisschen im Auge.«
    »Du brauchst dir um Tommy keine Sorgen zu machen, Ingrid ist verrückt nach ihm, sie würde ihn höchstens zu sehr verwöhnen.«
    Louise wirkte keineswegs überzeugt und stieg in ihren Lancia. Ich ging zurück, um sie auf den Deich zu lotsen, und kurz darauf sah ich ihre Rücklichter um die Kurve verschwinden.

 

14
     
     
    Ich träumte, dass sich CyberNel ein Kind wünschte. »Ich bin achtundvierzig«, sagte sie. »Da heißt es jetzt oder nie.«
    Sogar in meinem Traum war mir klar, dass sie ihrem wahren Alter mindestens ein Dutzend Jahre hinzugedichtet hatte, während die meisten anderen Frauen es wohl vorzogen, eher in die entgegengesetzte Richtung zu schwindeln. Nel war Mitte dreißig, aber auch in ihr tickte unerbittlich die biologische Uhr, wie bei allen anderen auch. Als ich wach wurde, fragte ich mich, ob das wirklich ein Traum gewesen war oder vielleicht eine

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