Initiation
spähte zu dem anderen Tisch herüber. Ich wusste längst, dass die Formwandler dort saßen, ihr Geruch brachte mich zum Würgen. Ich hatte zwar einen guten Blick auf den Anführer des Rudels gehabt, aber die Erinnerung an die Gesichter der drei anderen war verschwommen. Im Moment saßen sie vornübergebeugt, Kapuzen verdeckten teilweise ihre Gesichter, sodass ich sie immer noch nicht sehen konnte. Aber der Anführer starrte mich unbeirrt an und auf seinen leicht nach oben gezogenen Mundwinkeln lag ein Grinsen. Widerlich.
Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder Octavia zu. »Wie heißt er? Der eine, der mich anstarrt? Er ist der Anführer.«
»Das habe ich mir gedacht. Lass mich nachsehen.« Sie blätterte ihren Ordner durch. »Tad O’Neill.«
»Was steht da noch?« Ich versuchte einen Blick zu erhaschen, aber sie hielt die Seite von mir weg.
Dann schob sie das Blatt wieder in den Ordner zurück. »Tut mir leid, Cordelia. Das ist vertraulich. Du würdest auch nicht wollen, dass sie Privatinformationen von dir sehen.«
Das stimmte. Wir warteten schweigend, während sich die Hörsaalsitze füllten, hauptsächlich mit neugierigen Integraten. Ich entdeckte Sienna, Delam und Jewel in der Menge und lächelte, als sie mir zuwinkten.
Jagger klopfte dröhnend laut mit seinen Richterhammer, um die Verhandlung zu eröffnen. »Wir haben uns zur Anhörung von Fall DH 20866731 – Cordelia Hammer gegen Jeremy Pickard, Hank Murphy, Tad O’Neill und Andrew Bell versammelt. Ich lehne mich selbst wegen Befangenheit in diesem Fall ab, da ich Zeuge der Anklage bin. Deshalb wird Ratsmitglied Ten Chu den Vorsitz übernehmen.« Jagger sprang von der Bühne und verließ den Saal.
»Bleibt er nicht, um zuzusehen?«, flüsterte ich Octavia zu.
»Nein, das darf er nicht. Wir rufen ihn zu gegebener Zeit auf; er wartet draußen. Aber heute wird es nicht dazu kommen. Wir haben nur Zeit für die Eröffnungsansprachen, bevor der Unterricht anfängt.«
Ten stand auf und wandte sich erst an uns, dann an den gegnerischen Tisch. »Cordelia, Tad, Jeremy, Andrew und Hank bitte vergessen Sie nicht, dass Sie während der Verhandlung wahrheitsgemäß auf Fragen, die der Schülerrat und die Anwälte stellen, antworten müssen. Ist das klar?«
Wir nickten. Ich versuchte nicht zu kichern. Die Wahrheit? Wussten Formwandler überhaupt, was das war?
»Octavia, sind Sie bereit, Ihr Eröffnungsplädoyer zu halten?«, fragte Ten leise ins Mikrofon.
Octavia stand auf und ging nach vorne, dann drehte sie sich seitwärts, sodass sowohl die Ratsmitglieder als auch der Tisch der Gegenseite sie ansehen konnte.
Plötzlich zeigte sie mit dem Finger auf mich und sah mich mit Tränen in den Augen an. »Ratsmitglieder, sehr geehrte Damen und Herren, dieses junge Mädchen, Cordelia Hammer, ist vor zwei Tagen gestorben.«
Ein Murmeln ging durch die Menge, und Ten musste seinen Hammer benutzen. »Octavia…«
Sie marschierte zu mir und umarmte mich. Um ein Haar hätte ich angefangen zu kichern. Ich wünschte, sie hätte mich gewarnt! Dann streckte sie ihren rechten Arm aus und zeigte mit anklagendem Finger auf die Formwandler. »Sie haben sie ermordet.« Sie machte eine Pause, dann flüsterte sie fast, »sie haben sie kaltblütig
ermordet
.«
Wieder auf mich zeigend, sagte sie: »Cordelia ist nur ohne böse Absichten den Gang entlang gegangen, hier in unserer eigenen Bonfire Academy. Sie hat
nichts
getan, um
sie
zu provozieren.«
Octavia zeigte mit einem blutroten, krallenartigen Fingernagel auf die Formwandler. »Aber sie haben Cordelia trotzdem angegriffen. Bösartig. Und ohne guten Grund.« Plötzlich richtete Octavia ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich. Sie studierte mich, dann kniff sie mich feste in meinen linken Oberarm.
»Autsch!«, jaulte ich.
»Ach, wie seltsam! Glücklicherweise, aber nicht durch Hilfe
von ihnen
«, sagte Octavia mit verächtlicher Stimme, »hat Cordelia sich von den furchtbaren Verletzungen erholt, die ihr die Angeklagten zugefügt haben. Cordelia lebt.« Octavia warf die Haare zurück und trank einen Schluck aus dem Becher mit Blut. »Sie ist ermordet worden, doch hier sitzt sie. Wie kann das sein? Ist sie zum Vampir gemacht worden? Das ist irrelevant. Was zählt ist, dass dieses junge Mädchen auf dem Schulgelände angegriffen worden ist.
Angegriffen
, nicht von einem, sondern
diesen vier
feigen Wesen. Sie wurde solange geschlagen, bis ihr Herz versagt hat, ihre Extremitäten sind ihr, im wahrsten Sinne des Wortes, vom Leib
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