Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
wert ist, gerettet zu werden.«
»Natürlich ist sie das wert!«
»Wirklich?« fragte sie und richtete ihren geheimnisvollen, teichtiefen Blick auf ihn.
Plötzlich hatte Zane seine Zweifel. Doch er schob sie beiseite.
»Gehen wir doch einmal, rein der Diskussion halber, davon aus, daß der Mensch es wert ist,
gerettet zu werden. Worauf willst du dann hinaus?«
»Vielleicht wäre es einmal hilfreich, sich mit verschiedenen Methoden des Denkens
auseinanderzusetzen.«
»Um den Krieg zu verhindern? Wie denn?«
»Durch Gedankenformationen.«
»Formationen?«
Zane war verärgert, doch er weigerte sich, das Ausmaß seiner Verwirrtheit zuzugeben. Wenn die
Natur auf irgend etwas hinauswollte, dann wollte er es auch begreifen.
»Der Mensch ist nicht nur ein linearer Denker«, sagte sie und zog dabei eine Linie aus Nebel in
die Luft. Wie ein ferner Kondensstreifen blieb sie dort schweben. »Wenngleich Serien gewiß sehr
direkt sind und unter vielerlei Umständen auch recht nützlich sein können.«
Zane musterte den Kondensstreifen. »Serien?« fragte er.
»Stell dir einmal die Synapsen deines Gehirns vor, als wären sie Streichhölzer, die Kopf an Fuß
aneinandergelegt werden. Dann bewegen sich deine Gedanken entlang dieser kleinen Pfade.«
Sie durchschnitt die Linie mit ihrem Finger, wodurch sie in fünf Teile geteilt wurde: - - - -
-
»Dies ist eine serielle Anordnung. Das ist, als würde man eine Schnellstraße entlangfahren, vom
Start zum Ziel.«
»Oh, ja, jetzt verstehe ich. Synapsen, die in einer Reihe angeordnet sind. Ich schätze, wir
denken tatsächlich auf diese Weise, wenngleich es auch andere Wege gibt.«
»Ganz genau. Was jetzt folgt, das ist ein System alternativer Pfade.« Sie wischte mit der Hand
über den Kondensstreifen und löschte ihn damit aus. Dann zeichnete sie mit ihrem Finger fünf neue
Streichhölzer in die Luft:
»Das hier ist eine Parallelformation. Sie ist natürlich sehr schnell und sehr stark; sie führt zu
einer so gut wie sicheren Schlußfolgerung, die auf vielerlei Fakten beruht. Dies ist vielleicht
die machtvollste Vorgehensweise.«
»Aber dafür führt sie auch nicht so weit wie die andere.«
»Das ist wahr. Sie ist konservativ und fuhrt zu kleinen, sicheren Schritten ohne viele Irrtümer,
ganz im Gegensatz zu den plötzlichen Verständnissprüngen, welche durch die Serienformation
ermöglicht werden. Sie hat zwar durchaus ihre Schwächen, aber wenn die Situation es verlangt, ist
sie sehr nützlich.«
»Mag sein. Aber worauf du hinauswillst...«
»Manchmal scheinst du zu diesem Denkertyp zu gehören«, meinte sie lächelnd. Sie schürzte die
Lippen und stieß einen Nebelring hervor, der zur Decke emportrudelte.
»Du klammerst dich an Grundbedingungen. Doch die werden dir nicht immer sehr gut dienen.«
»Aber im Fegefeuer bekomme ich gerade deswegen Ärger, weil ich das nicht tue!« protestierte
er.
»Als nächstes haben wir die kreative Formation«, fuhr sie fröhlich fort, wobei sie die
Parallelformation wegwischte und an ihrer Stelle fünf Streichhölzer in die Luft zeichnete, die
von einer gemeinsamen Mitte heraus nach außen strebten: »Divergente Gedanken, die nicht unbedingt
durch ihren jeweiligen Kontext begrenzt sind.«
»Die in alle Richtungen davonschießen«, stimmte Zane ihr zu. »Aber...«
»Und dann gibt es da noch die schizoide Formation«, fuhr sie fort und malte ein Pentagon: »Immer
herum und herum, ohne irgendwo hinzukommen, internalisierend.«
»Was kann die denn nützen?«
»Sie könnte einer Person dabei helfen, sich mit einer bösen Notwendigkeit abzufinden«, erklärte
sie.
»Ich verstehe nicht, wie...«
»Und schließlich gibt es auch noch die intuitive Formation.«
Sie zeichnete eine weitere Formation in die Luft: - /// -
»Ein ganz plötzliches Schlußfolgern. Nicht unbedingt die zuverlässigste Methode, aber manchmal
gerade dort recht wirkungsvoll, wo die anderen nur versagen.«
»Fünf Denkformationen«, sagte Zane, der sich langsam einem Wutausbruch näherte. »Sehr
interessant, wirklich. Aber was wolltest du mir eigentlich sagen?«
»Ich habe es dir bereits gesagt«, erwiderte die Natur gelassen.
»Was hast du mir gesagt? Die ganze Zeit bist du dem Thema ausgewichen!«
»Welchem Thema?«
Nun hatte Zane genug. »Ich habe keine Lust mehr, das Spiel mitzuspielen.« Wütend stampfte er aus
der Zitadelle. Die Natur stellte sich ihm nicht in den Weg.
Es erwies sich als viel leichter, das Zentrum des Anwesens zu verlassen, als
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