Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
keinen Ausweg mehr gab.
»Hallo«, sagte Zane verlegen.
Einer der Grubenarbeiter drehte den Kopf. Die Pupillen seiner Augen waren riesig, als er sich
darum bemühte, im Dunkeln zu sehen - und natürlich wurde Zane ihm sofort auf magische Weise
sichtbar. »Nicht hinsehen«, murmelte der Mann, »aber ich glaube, wir müssen jetzt die
Essensmarken abgeben.«
Selbstverständlich sah der andere sofort hin. »Der Totenschädel mit der Kapuze! Das ist der
Tod!«
»Ja«, sagte Zane. »Ich bin gekommen, um einen von euch zu holen.«
»Du bist gekommen, um uns beide zu holen«, erwiderte der erste Grubenarbeiter. »Wir haben nur
noch für ungefähr eine Stunde Luft. Vielleicht sogar noch weniger.« Zane blickte auf seine Uhr.
»Weniger«, sagte er. »Ach Gott, ich will nicht sterben!« sagte der zweite Grubenarbeiter. »Aber
als ich hörte, wie der Einsturz begann, da wußte ich sofort, daß es hoffnungslos war. Wir haben
ja sowieso nur von geborgter Zeit gelebt, bei den ganzen Sicherheitsbestimmungen, gegen die die
Firma dauernd verstoßen hat. Wenn ich klüger gewesen wäre, wäre ich aus diesem Job
ausgestiegen!«
»Und was hättest du statt dessen gemacht?« fragte der erste Bergarbeiter.
Der andere seufzte. »Gar nichts. Ich mache mir selbst etwas vor; dies ist der einzige Job, von
dem ich etwas verstehe.«
Wieder blickte er Zane an. »Wieviel Zeit noch?«
»Neun Minuten«, erwiderte Zane.
»Zeit genug für die Riten.«
»Was?«
»Nimm mir die Beichte ab. Du weißt schon, meine Religion. Die Sterbesakramente. Ich bin zwar nie
ein großer Kirchgänger gewesen, aber in den Himmel kommen möchte ich trotzdem!«
Der zweite Bergarbeiter lachte hart. »Ich weiß jedenfalls, daß ich dort nicht hinkommen
werde!«
Zane holte den Sündenstein hervor. »Du kommst in den Himmel«, sagte er zu dem ersten Mann. »Und
bei dir ist es noch fraglich«, teilte er dem zweiten mit. »Deshalb muß ich deine Seele auch
persönlich abholen.«
»Fraglich? Was soll das denn bedeuten?«
»Deine Seele ist zwischen Gut und Böse ausgeglichen, so daß es ungewiß ist, ob du in den Himmel
oder in die Hölle kommst, oder ob du eine Weile im Fegefeuer verbringen mußt.«
Der Mann lachte. »Das ist aber eine Erleichterung!«
»Eine Erleichterung?«
»Solange ich überhaupt irgendwohin gehen kann. Es ist mir egal, wenn es die Hölle sein sollte.
Ich weiß, daß ich sie verdient habe. Ich habe meine Frau betrogen, die Regierung bestohlen...
Nenn irgend etwas - ich habe es getan. Und ich bin bereit, dafür zu zahlen.«
»Du fürchtest dich gar nicht vor der Hölle?«
»Ich fürchte mich nur vor einem, und das ist, mich in einem solch engen Raum aufhalten zu müssen
wie hier, während die Luft ausgeht und ich völlig hilflos bin... auf alle Ewigkeit. Eine Stunde
halte ich das ja aus, aber nicht für immer. Es ist mir gleichgültig, was mit mir passiert,
solange es nicht das hier ist.«
»Mir ist es aber nicht gleichgültig!« sagte der erste Grubenarbeiter. »Ich habe so viel Angst,
daß ich schon am ganzen Leibe zittere.«
Zane dachte nach. Er erkannte, daß die Sterbenden jemanden brauchten, der ihre Hand hielt, nicht
jemanden, der sie abwies.
Es war ohnehin schon schwer genug, das Unbegreifliche begreifen zu müssen. Zane mußte ihm helfen.
»Ich bin zwar für den einen von euch gekommen, der im Gleichgewicht ist, aber ich glaube, der
andere braucht meine Dienste mehr.«
»Na klar doch, hilf ihm ruhig«, meinte der ausgeglichene Klient. »Ich will zwar nicht behaupten,
daß mir das Sterben gefällt, aber ich schätze, ich werde damit schon klar kommen. Als ich mich
für diesen Job entschieden habe, da kannte ich die Risiken. Vielleicht gefällt mir die Hölle
ja.«
Zane nahm neben dem anderen Platz. »Wie kann ich dir helfen?«
»Durch die Sterbesakramente, das habe ich dir doch schon gesagt; das wird mir ein wenig
helfen.«
»Aber ich bin kein Priester; ich gehöre nicht einmal derselben Religion an wie du.«
»Du bist der Tod, das wird schon reichen!«
Das war wohl wahr. »Dann werde ich zuhören und ein Urteil fällen. Aber ich weiß doch bereits, daß
dein Sündenkonto nicht allzu groß ist.«
»Da ist eine Sache«, sagte der Mann aufgewühlt.
»Eine Sache, die mich schon seit Jahrzehnten verfolgt. Meine Mutter...«
»Deine Mutter!« sagte Zane mit wohlvertrautem Schock.
»Ich glaube, ich habe sie umgebracht. Ich...«
Der Grubenarbeiter hielt inne. »Geht's dir noch gut, Tod? Du siehst aber wirklich reichlich
bleich aus,
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