Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
eingetauscht.«
»Ich weiß nicht.« Inzwischen atmete der Mann immer flacher, weil die Luft nicht mehr genügend
Sauerstoff enthielt.
Das schien ihm mehr auszumachen als seinem Kameraden.
»Du wirst sie dort wiedersehen«, schloß Zane. »Sie ist im Himmel. Dort wird sie dir persönlich
dafür danken.«
Der Bergmann antwortete nicht, deshalb ließ Zane seine Hand los und wandte sich an den anderen,
seinen eigentlichen Klienten. »Bist du sicher, daß ich nichts für dich tun kann?«
Der Mann überlegte. »Weißt du, ich bin ja ein Zyniker, aber ich schätze, ich sehne mich doch nach
irgendeinen Sinn im Leben, oder wenigstens nach Verstehen. Es gibt da ein Lied, das mir immer im
Kopf herumgeht, und das hat mich irgendwie gepackt. Ich glaube nämlich, daß es etwas bedeuten
muß, aber ich weiß nicht, was.«
»Ich bin zwar kein Experte, was Ausdeutungen angeht«, sagte Zane, »aber ich kann es ja mal
versuchen. Was ist das für ein Lied?«
»Ich weiß weder den Titel noch sonst etwas, ich glaube, es ist einfach nur ein altes
Walfängerlied. Vielleicht habe ich ja Walfängerblut in meinen Adern. Es lautet... jedenfalls
soweit ich mich erinnern kann:
...und der Wal schlug aus mit seinem Schwanz, und das Boot kenterte, und ich verlor meinen
geliebten Mann, und er wird niemals, niemals wieder ausfahren. Großer Gott! Und er wird niemals
wieder ausfahren.
Was mich packt, das ist dieses Großer Gott! das haut mich um. Ich habe mich noch nie einen
verdammten Deut um Gott geschert, aber es geht mir nahe, und ich weiß nicht, warum.«
Zane hegte den Verdacht, daß der Mann sich mehr aus Gott machte, als er glaubte, doch er ging
lieber nicht weiter darauf ein. »Das ist so ein Ausruf«, meinte er. Der Liedauszug faszinierte
ihn. Es lag tatsächlich Gefühl darin, wie von einer heftig trauernden Witwe, die einen
Schmerzensschrei ausstieß.
»Das ist ein Protest. Großer Gott! Warum mußte das geschehen? Ein gesunkenes Schiff oder
ein Grubenunglück. Großer Gott!«
»Großer Gott!« wiederholte der erste Bergmann.
»Aber warum macht mir ausgerechnet jetzt, wo ich in diesem stinkenden Loch begraben bin, ein
Walfängerlied zu schaffen?« wollte der zweite Grubenarbeiter wissen.
»Du mußt anscheinend damit bestimmte Dinge verbinden«, erwiderte Zane. »Ich bin nicht der
Richtige, um eine Ausdeutung...«
»Mir scheint die Sache klar zu sein«, bemerkte der erste Bergmann. »Du ertrinkst in den Tiefen
des Meeres, du erstickst in den Tiefen der Erde, und deine Frau trauert.«
»Hm, ja, das wird sie vielleicht tun«, meinte der zweite Mann, und seine Miene hellte sich auf.
»Aber ich glaube doch nicht, daß es das ist. Es ist eher wie eine Botschaft; wenn ich sie doch
nur verstehen könnte.« Er schnippte mit den Fingern, als wollte er die Botschaft herbeirufen, und
das Geräusch hallte in den Tiefen der Grube wider. »Hör mal, Tod, wenn du etwas tun willst, dann
erzähl mir eine Geschichte über dieses Lied. Irgendwas, nur damit es ein wenig Sinn
ergibt.«
Dies war also der letzte Wunsch des Klienten. Beide Männer keuchten inzwischen nach Luft, und die
Zeit war knapp. Zane mußte versuchen, dem Wunsch des Mannes zu entsprechen, selbst wenn er dabei
versagen sollte. Er dachte einen Augenblick nach, dann begann er zu sprechen, und was er sagte,
überraschte ihn selbst.
»Es gab einmal eine junge Walin namens Wilda. Sie zog durch die Ozeane der Welt, glücklich, in
Begleitung ihresgleichen zu sein, und als sie volljährig wurde, dachte sie daran, sich mit einem
Wal zu paaren, wie dies die anderen Walkühe taten, ein Waljunges zu gebären und es aufzuziehen.
Doch dann kamen eines Tages die Jäger in ihren riesigen Booten, und sie harpunierten ihren Vater,
ihre Mutter und ihren Walbullenfreund, zerrten sie aus dem Wasser, und es blieb von ihnen nichts
anderes mehr übrig als ihr Blut und grauenerregende Körperteile, um die sich schon bald die Haie
scharten. Wilda konnte entkommen, denn sie hatte Magie gelernt; sie verwandelte ihr Aussehen, so
daß sie einem wertlosen Abfallfisch glich und davonschwamm. Sie trauerte mit ihrem Walgesang, der
von Verlust und Schmerz kündete, doch zugleich war sie auch wütend und verwirrt. Warum kamen
diese winzigen Landwesen, Menschen genannt, um Wale zu metzeln, die ihnen nie etwas Böses getan
hatten? Das alles schien keinen Sinn zu ergeben. Sie begriff, daß sie dieses Problem nicht würde
lösen können, solange sie die Motive des Gegners nicht verstand. Also
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