Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
Seele, die Sie da
mißhandeln.«
Ihre Seele! Zanes Augen versuchten, ebenso glasig zu werden wie die seines Opfers. Er wich zurück
- und die zerrissene Seele bewegte sich mit ihm; sie streckte sich, an ihrem zerstörten Körper
haftend, in die Länge, als wollte sie sich nicht von ihm trennen.
Dann riß das seidige Band und zog sich wieder zusammen. Er hielt es in der Hand, schlaff
herabhängend wie die abgestreifte Haut einer sich schälenden Schlange.
Die Frau im Wagen war endlich tot, Angst und Pein waren wie in ihr Gesicht eingefroren. Der Tod
hatte ihre Seele genommen und ihrem Leiden ein Ende gesetzt.
Hatte er das wirklich?
»Was passiert jetzt?« fragte er die Norne. Er zitterte am ganzen Leib und fühlte sich unangenehm
schwach.
»Sie falten die Seele zusammen, packen Sie in Ihren Beutel und begeben sich zu Ihrem nächsten
Klienten«, antwortete sie.
»Wenn Sie eine Pause haben, analysieren Sie die Seele, um zu bestimmen, in welche Sphäre sie
weitergeleitet werden soll.«
»In welche Sphäre?« Sein Verstand weigerte sich, sich zu sammeln, ganz so, als wäre sein Denken
vom Blut der Klientin geblendet worden.
»In den Himmel oder in die Hölle.«
»Aber ich bin doch kein Seelenrichter!« protestierte er.
»O doch, das sind Sie - ab nun. Versuchen Sie, möglichst wenige Fehler zu begehen.« Die Norne
wandte sich ab und schritt davon.
Zane starrte die herabbaumelnden Seelenfetzen an. Leute kamen an ihm vorbei, doch niemand
bemerkte ihn. Genausogut hätte er allein sein können.
Unbeholfen legte er die Hände zusammen und faltete das glänzende Material wie ein Bettuch. Es bog
sich an den falschen Stellen und warf waagerechte Falten, während die zerrissenen Kanten
herausfielen, doch nach und nach gelang es ihm mit Gewalt, sein Ziel zu erreichen. Schließlich
erhielt er ein sehr kleines, leichtes Päckchen; die Seele besaß kaum physische Masse. Zane
fischte wieder in seinen Taschen umher, bis er einen Stoffbeutel fand. Er stopfte die gefaltete
Seele hinein. Dann versuchte er sich zu übergeben, doch sein leerer Magen besaß nicht die
erforderliche Masse, um den Versuch zu einem Erfolg werden zu lassen. Wie er doch seinen
allerersten Fall verhunzt hatte!
Die Polizei war inzwischen eingetroffen, ebenso ein Krankenwagen, und einige Leute waren damit
beschäftigt, die verstümmelten Überreste des Opfers aus dem Wagen zu zerren.
Zeugen wurden befragt, doch niemand kam auf die Idee, das gleiche mit Zane zu tun. Langsam begann
er zu begreifen, wie die Sache funktionierte: Er war nicht unsichtbar, sondern unbemerkbar.
Außer, es zählte.
Er hatte seine erste Seele abgeholt. Es brauchte ihm niemand zu sagen, daß er dabei ziemlichen
Mist gebaut hatte. Er hatte die Frau unnötig erschreckt und ihre Qual durch sein Zögern und
Stümpern verlängert, indem er ihr die Seele höchst unsanft aus dem Leib gerissen hatte. Das war
wirklich kein besonders verheißungsvoller Anfang seiner neuen Karriere!
Seine Uhr blitzte wieder auf. Der Zentralzeiger bewegte sich: Er hatte sieben Minuten bis zu
seinem nächsten Termin.
»Am liebsten würde ich selbst sterben!« murmelte er. Doch er war sich dessen nicht wirklich
sicher. Das Leben konnte sehr häßlich sein, und sehr häßlich war auch sein gegenwärtiges Amt,
aber das Sterben war immer noch schlimmer. Welch eine Qual das menschliche Dasein doch sein
konnte!
Welche Alternativen hatte er? Zane eilte zum Todeswagen. Er wußte nicht, wie hoch die normale
Klientenfrequenz war, vermutete aber, daß sich während des Übergangs ein Stau angesammelt hatte,
sofern so etwas möglich war. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht hatte die Norne die
Amtsübergabe so terminiert, daß sie während einer Pause stattfand.
Er ortete den nächsten Fall und fuhr los. Als der grüne Rutil aufblitzte, betätigte er den Knopf
auf dem Armaturenbrett und jagte mit Hyperantrieb auf den nächsten Ort zu. Dieser befand sich
weit im Süden, wahrscheinlich ein gutes Stück jenseits des Äquators. Doch als der Wagen seine
Fahrt in der neuen Stadt stabilisierte, funktionierten die Leitsteine wie gewohnt, und niemand
schien sein plötzliches Auftauchen auf der Straße bemerkt zu haben.
Zane war sich ganz und gar nicht sicher, daß ihm dieses Seeleneinsammeln gefiel, dennoch zögerte
er noch, den Auftrag zu verweigern. Wie lange hätte die Frau in dem zertrümmerten Wagen wohl noch
leiden müssen, wenn er, der Tod, nicht zur Stelle gewesen wäre, um sie ihrer Seele zu
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