Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
mühseligen Ankleideoperationen beschäftigt war, bemerkte
nichts davon. Zane schritt an ihr vorbei, die Seele in der Hand haltend, und verließ das Haus. Er
fühlte sich krank.
Im Inneren des Todesmobils untersuchte er mit Hilfe der Steine die kleine Seele. Das Muster war
merkwürdig, weil es nämlich überhaupt kein Muster ergab: Die Seele war von einheitlichem Grau.
Sie war noch nicht durch Erfahrung differenziert geworden.
Das Urteil der zusammengesetzten Steine fiel neutral aus; die Steinkugel blieb wie ein Mond, dem
sie auch glich, schweben, ohne zu steigen oder zu fallen.
Wie konnte das sein? Was hatte dieser kleine Junge denn Böses getan? Was hatte er denn überhaupt
Böses tun können, eingeschlossen in seiner Krippe, völlig abhängig von seiner kranken
Mutter?
Darauf wußte Zane keine Antwort. Er faltete die Seele säuberlich zusammen und verstaute sie in
seinem Beutel.
Wieder lief der Countdown der Todesuhr. War denn nie ein Ende? Wann bekam er denn mal eine
Ruhepause, etwas Zeit, um über alles nachzudenken?
Darauf hatte er allerdings eine Antwort. Tode fanden die ganze Zeit statt, und das galt auch für
den kleinen Prozentsatz unter ihnen, der nach besonderer Aufmerksamkeit verlangte.
Irgendwann würde er zwei schwierige Fälle auf einmal zu erledigen haben, auf entgegengesetzten
Seiten des Globus. Was dann?
Zane begann zu begreifen, wie jemand, der das Amt des Todes wahrnehmen mußte, irgendwann achtlos
werden konnte, wie es bei seinem Vorgänger der Fall gewesen war. Wenn sich die Ereignisse
überschlugen, mußte man manches abkürzen, sonst war der Job nicht zu erledigen. Was geschah mit
einem Tod, der zu weit hinter seinen Terminen herhinkte?
Er musterte die Uhr etwas genauer. An der Seite befanden sich drei Knöpfe. Es war natürlich eine
Stoppuhr, auch wenn der Zeiger rückwärts lief. Er hatte schon ähnliche Geräte gesehen. Mit einem
Knopf aktivierte man das Zählwerk und stoppte es; mit dem anderen stellte man die Anzeige wieder
auf Null; und mit dem etwas kleineren Mittelknopf stellte man bei Bedarf die gewöhnliche Uhrzeit
und die Kalenderfunktion ein.
Doch diese Uhr lief von alleine, auf magische Weise, und reagierte auf eine Datenangabe, über die
er nichts wußte.
Vielleicht besaß sie eine Direktverbindung zum Himmel oder zur Hölle oder wo immer sonst über den
Verbleib von Seelen entschieden werden mochte. Wahrscheinlich hatte die Norne auch ihre Hand
dabei im Spiel, da sie ja die Lebensfäden bemaß. Er selbst legte keine Ereigniszeiten fest,
vielmehr wurde seine eigene Zeit von Ereignissen festgelegt. Wozu dienten dann diese
Zusatzknöpfe? Was kontrollierten sie?
Er überlegte, ob er einen der Knöpfe betätigen sollte. Doch dann zögerte er; es könnte gefährlich
werden, mit etwas herumzuspielen, von dem er nichts verstand. Doch andererseits - wie sollte er
es sonst herausbekommen? Schließlich hatte er sein Leben - und beinahe seinen eigenen Tod - auch
auf unüberlegte Weise geführt, da könnte er ebensogut konsequent so weitermachen.
Probehalber drückte er auf den untersten Knopf.
Nichts passierte. Der Knopf sprang ohne besonderen Druckpunkt wieder zurück. Ob er ausgekoppelt
worden war? Nicht unbedingt; eine gute Stoppuhr war dagegen geschützt, daß man aus Versehen den
falschen Knopf drückte, was gegen Ende eines Wettlaufs im Eifer des Gefechts ja durchaus
vorkommen konnte, wenn man nämlich, ohne hinzusehen, den STOPP-Knopf drückte. Dieser hier müßte
eigentlich die Rückstellung auf Null bewirken, die nur dann funktionierte, wenn eine bestimmte
Zeit eingestellt oder gemessen worden war, wie dies nach einem Rennen der Fall war, dessen Zeit
man genommen hatte. Er drückte auf den obersten Knopf. Der klickte - und der rote Zeiger blieb
stehen.
Zane begutachtete das Zifferblatt. Die beiden Miniaturskalen, welche die Stunden und Minuten
anzeigten, bewegten sich nicht mehr. Der Zentralzeiger war um dreiundzwanzig Sekunden nach der
vollen Minute zum Stillstand gekommen.
Vor der vollen Minute, denn er lief ja rückwärts. Doch das dritte Blatt funktionierte
noch; sein Zeiger bewegte sich forsch weiter im Uhrzeigersinn und zeigte die Sekunden der
Normalzeit an. Also war die Stoppuhr gestoppt worden, nicht aber die Zeit selbst.
Was hatte das zu bedeuten? Wenn die Stoppuhrfunktion den Todeszeitpunkt seiner Klienten
bestimmte, hieß dies dann, daß diese Tode nun blockiert blieben? Das fiel ihm schwer zu glauben,
aber das galt schließlich
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