Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
abgeben.«
»Ich nehme an, daß er wirklich irgendeinen Grund dafür gehabt haben muß«, pflichtete Zane ihr
bei. Er hatte kaum etwas dagegen, seine Bekanntschaft mit dieser immer hübscher werdenden jungen
Frau zu vertiefen - denn je mehr sie sich zurechtmachte, um so schöner wurde sie -, doch es
gefiel ihm nicht, nur von ihr akzeptiert zu werden, weil man es ihr befohlen hatte. »Schließlich
war er ja ein Magier.«
»Ja.« Sie wälzte das Offensichtliche nicht auch noch aus, und nun kam er sich töricht vor, weil
er selbst es getan hatte. Dies war eine seltsame Zusammenkunft, und er fühlte sich kaum wohl
dabei.
»Ich könnte zwar verstehen, weshalb ein Mann wie ich sich für eine Frau wie dich interessiert,
aber nicht, warum ein Mann wie er wollen sollte, daß... ich meine, du bist doch mit Sicherheit
für Besseres bestimmt, und so etwas hat er doch auch für dich gewollt.«
»Bestimmt«, gab sie mir recht und schüttelte ihre glitzernden Locken aus.
Das war nicht gerade eine Hilfe. Luna wurde nicht nur wieder schön, sie wurde auch gelassener,
und ihr Blick wurde direkter.
»Na ja«, fing er an. »Ich wollte dir gerade von meinen Fehlern erzählen. Einer meiner letzten
Fälle - ein Junge, ein Teenager -, zum Beispiel... dem hatte niemand gesagt, daß er sterben
würde. Aber als er mich erkannte, wußte er es plötzlich. Ich weiß nicht, ob es richtig war, ihn
anzulügen, wie man es mit ihm getan hatte, oder ihm die Wahrheit zu sagen, wie ich es schließlich
tat. So oder so meine ich, daß ich die Sache falsch gehandhabt habe, also ist das ein Fehler
gewesen.«
»Unentschlossenheit hältst du für einen Fehler?«
»Ich weiß nicht. Ich schätze, schon. Wie soll man tun, was richtig ist, wenn man doch gar nicht weiß, was richtig ist?«
Sie zog eine Schnute. »Eins zu null für dich! Ich nehme an, du mußt einfach durch Erfahrung
lernen und kannst nur hoffen, daß du inzwischen nicht allzuviel Schaden anrichtest.«
»Mir war die Bedeutung des Todes vorher nie so richtig klar«, meinte er bekümmert. »Jetzt, da ich
direkt damit zu tun habe, wird die Sache viel machtvoller, beinahe überwältigend. Der Tod ist
keine geringfügige Sache.«
»Wie meinst du das?« fragte Luna sanft. Ihre Augen schimmerten wie Perlmutt.
»Ich weiß zwar, daß jedes Lebewesen irgendwann sterben muß; sonst wäre die Welt unerträglich
übervölkert. Selbst individuell betrachtet stellt der Tod eine Notwendigkeit dar. Wer würde denn
schon wirklich ewig auf Erden leben wollen? Dann wäre das Leben doch irgendwann bloß ein Spiel,
das man nur zu gut kennt und das schal geworden ist; und die Annehmlichkeiten, die es zu bieten
hat, würden durch die unerträgliche Last von unwichtigen Kleinigkeiten erdrückt. Nur ein Narr
würde dennoch einfach weitermachen. Aber ich habe hier ja nicht unbedingt mit dem normalen
Verlauf eines erfüllten Lebens zu tun, das schließlich an Altersschwäche stirbt. Ich spreche mit
Menschen, die nicht bereit sind, zu sterben, und hole ihre Seelen außer der Reihe. Sie haben ihr
Leben noch nicht voll ausgelebt, ihre Rolle noch nicht ganz ausgespielt. Ihr Lebensfaden wurde
ohne eigenes Verschulden kurzerhand vorzeitig abgeschnitten.«
»Ohne Verschulden?« Sie lenkte das Gespräch, ja sie fragte ihn regelrecht aus, doch es störte ihn
nicht.
»Nehmen wir mal meine letzten Klienten. Der eine war ein siebenjähriger Junge. Er aß gerade in
der Schulkantine zu Mittag, als ein Ventil versagte und ein Wassererhitzer explodierte. Dadurch
stürzte die Decke ein, und fünf Kinder und ein Lehrer kamen ums Leben. Mein Klient kam aus einem
schwierigen Zuhause, weshalb seine Seele auch zwischen Gut und Böse ausgewogen war... aber er
hätte eigentlich noch ein ganzes Leben zu leben gehabt, um seine Seele besser in Ordnung zu
bringen. Durch schieren willkürlichen Zufall wurde ihm diese Chance verwehrt. Und die fünf
anderen, die dabei starben und meiner persönlichen Aufmerksamkeit nicht bedurften - vielleicht
sind die alle direkt in den Himmel gekommen. Ich hoffe es jedenfalls. Aber es war ihnen gegenüber
dennoch grob ungerecht, denn sie hätten auch sechzig Jahre später in den Himmel kommen können,
nachdem sie auf Erden alle ihre Möglichkeiten voll ausgelebt hätten. Die Welt hätte von ihrem
Leben profitieren können; auf jeden Fall hatten sie ihre Chance verdient. Welch ein Sinn soll
schon hinter einer solchen Katastrophe stehen?«
»Das weiß vielleicht die Schicksalsgöttin«,
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