Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
meinte Luna.
»Da war auch noch ein riesiger Flugteppich, der in Washington gestartet ist und neunundsiebzig
Leute nach Süden bringen sollte. An seinem vorderen Rand bildete sich Eis und hemmte seinen
Levitationszauber, so daß der Teppich eine Brücke streifte und in den Potomac stürzte wobei
neunzig Prozent der Passagiere umkamen. Ich war dort, um mich um einen Klienten zu kümmern, und
sah den Absturz mit an - und dabei war der so unnötig! Schon der einfachste Enteisungszauber
hätte verhindert, daß...«
»Ich dachte, daß man große Teppiche im Winter immer enteist.«
»Tut man auch. Aber diesmal hat man nur einen sehr schwachen Zauber verwendet, das Eis bildete
sich schneller als erwartet, und niemand hat nachgesehen. Diese armen unschuldigen Menschen, alle
tot... und ich dachte nur, warum, warum? Wenn die Sache auch nur im geringsten einen Sinn hätte,
könnte ich sie ja vielleicht akzeptieren. Aber das war nichts als eine pure Laune! Diese ganzen
Leute, die der Schmach einer sinnlosen Auslöschung anheimfielen, deren Familien trauern mußten -
ich weiß nicht, ob ich daran noch weiterhin teilhaben kann.«
»Ich würde es ja rechtfertigen, wenn ich könnte«, antwortete Luna. »Mein Vater glaubte daran, daß
der Tod einen Sinn hat, so unzeitig er auch scheinbar kommen mag. Er sagte, daß es immer einen
Sinn, einen Grund gibt, wenn wir ihn nur erkennen können.«
»Was soll denn der Sinn dahinter sein, daß Kinder durch eine Explosion getötet oder ganze
Familien bei einem Zusammenstoss zermalmt werden?« fragte er verbittert. »Kann Gott damit zu tun
haben?«
»Ich weiß es nicht. Mein Vater träumte von einem gütigen Universum, in dem Himmel, Fegefeuer und
Hölle alle notwendigen Aspekte eines göttlich funktionierenden Ganzen darstellen. Er hatte
geglaubt, daß jeder unzeitige Tod seinen besonderen Grund hat und daß das Schicksal jedes der
Opfer auf diesen bestimmten Teppich geführt hat.«
»Glaubst du daran?«
Sie seufzte. »Meine Seele ist mit Bösem belastet, und mein Glaube ist schwach. Ich verfüge nicht
über die Informationen, die mein Vater besaß.«
»Du bist eine Sterbliche, genau wie ich«, versetzte er. »Du bist nicht mit schnellen Antworten
ausgerüstet.«
»Nur zu wahr. Aber ich glaube dennoch, daß wir einen Sinn feststellen können, wenn wir es nur
versuchen. Wie bist du denn eigentlich dazu gekommen, der Tod zu werden?«
»Ich habe meinen Vorgänger erschossen«, gestand Zane. »Ich wollte Selbstmord begehen, weil man
mich um ein Mädchen betrogen hatte - um ein Mädchen wie du, schön, reich und treu. Aber als ich
den Tod erblickte, habe ich statt dessen ihn getötet. Dann kam die Schicksalsgöttin und teilte
mir mit, daß ich der neue Tod sein müßte. Also wurde ich es.«
»Ein Mädchen wie ich«, sagte Luna. Sie hatte sich weiterhin zurechtgemacht und befand sich nun an
der Grenze vom Wunderschönen zum Betörenden.
»Ja. Nicht nur schön, sondern rein...«
Luna bekam einen Lachanfall und mußte husten. »Wie wenig du doch von Frauen verstehst!«
Zane zuckte die Schultern. »Ich habe gewöhnliche Frauen gekannt. Aber...«
»Der Tod hat dich persönlich aufgesucht«, unterbrach sie mit weiblicher Sprunghaftigkeit. »Das
bedeutet, daß du zur Hälfte böse warst.«
»Ja. Ich habe nie behauptet...«
»Wenn du mich mit deinen Bestimmungssteinen bestreichen würdest, würdest du bei mir so ziemlich
dasselbe feststellen. Meine äußere Form ist so schön, wie Natur und Kosmetik sie nur herzustellen
vermögen, aber meine innere Persönlichkeit ist suspekt. Stell mich nicht auf ein Podest, Zane.
Was das Böse angeht, so kann ich dir jederzeit das Wasser reichen.«
»Oh, ich bin sicher...«
»Nein, bist du nicht! Aber du könntest es genausogut heraus finden. Das würde dann auch
begleichen, was mein Vater im Sinn gehabt haben mag.« Sie erhob sich und schritt durch den Raum,
geschmeidig und zielstrebig. »Komm mit in den Steinraum.«
Zane folgte ihr. Er rechnete damit, in eine Art Krypta geführt zu werden, die in den Fels gehauen
war, doch der Raum stellte sich als helles, holzgetäfeltes Zimmer heraus, das wie ein Museum
eingerichtet war. Auf Regalen und in Vitrinen befanden sich kleine Steine jeglicher Art.
»Die sind... magisch?« fragte er erstaunt.
»Natürlich. Das war der Beruf meines Vaters - Steine zu verzaubern. Hier ist ein Teil der
raffiniertesten Magie der Welt versammelt. Die Steine, mit denen du Seelen untersuchst, sind
möglicherweise von
Weitere Kostenlose Bücher