Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
wenngleich etwas verunsichert. »Mann, wir machen keinen
Kirchenschrott! Wir sind die Lebenden Blutklumpen! Wir dröhnen, wir spotzen, wir geifern. Aber
hymnen tun wir gottverdammich nicht!«
Wieder ließ Zane den Todesblick los. Junge Punks wie dieser waren resistenter dagegen als andere
Leute, weil sie nicht daran glaubten, daß sie jemals sterben würden. »Eine Hymne. Heilig,
heilig, heilig.« Seine knochigen, eckigen Augenhöhlen brannten sich in die in Fleisch
gebetteten Augen vor ihm.
Wieder reagierte der Junge benommen. »Klar, na ja, ich schätze, wir können es ja mal versuchen.
Ich meine, ist ja bloß eine Nummer. Aber unsere Sängerin ist nicht da, die ist gerade auf
magisches H, und außerdem müssen wir sowieso erst mal üben. Das dauert zwei, vielleicht auch drei
Tage, wissen Sie, nur um mal anzufangen.«
»Jetzt«, sagte Zane. »Noch in dieser Stunde. Ich werde eine Sängerin für euch auftreiben.«
»Aber wir haben doch gar keine Noten oder so was!« protestierte der Junge.
»Auch die werde ich besorgen«, erwiderte Zane und zügelte seinen Zorn. War er wirklich auch mal
in diesem Alter gewesen? »Geht jetzt in das Pflegeheim nebenan und baut euer Zeug auf. Ich komme
gleich mit einem Sänger oder einer Sängerin wieder.«
»Na klar, Mann, ist gebongt«, antwortete der Junge matt. »In einer halben Stunde sind wir bereit.
Aber Sie müssen wissen, daß das nicht gerade unsere Nummer ist. Ich meine, allzu toll wird's kaum
werden.«
»Es wird genügen.« Zane verließ sie und schritt zu der Kirche auf der anderen Seite des
Pflegeheims.
Er hatte Glück. Der Kirchenchor probte gerade für den Gottesdienst am Wochenende. Mehrere
schwarze Mädchen waren da und brachten etwas hervor, das sich für Zanes Ohr wie ein Mischmasch
aus Noten und Geheul anhörte.
Der Prediger entdeckte ihn sofort. »He, hol mir bloß keinen von meinen Leuten, Tod!« protestierte
er. »Wir sind gute Leute hier. Wir wollen keinen Ärger mit dir haben!« Zane begriff, daß diese
Kirche zwar vielleicht arm und rückständig sein mochte, daß der Prediger aber ein wahrer Mann
Gottes war, der eine übernatürliche Erscheinung sofort als solche erkennen konnte. Das würde sich
als Hilfe erweisen.
»Ich will nur ein Gesangbuch und eine Sängerin«, sagte Zane.
»Gesangbücher haben wir«, erwiderte der alte Mann eifrig.
»Da gibt es so eine Gruppe von weißen Menschheitsbeglückern, die haben Geld gesammelt und uns
Bücher gekauft, weil sie nichts von unserer Musik verstehen. Wir haben einen ganzen Haufen von
den Dingern unter einer Staubschicht im Schrank. Aber eines meiner Mädchen... Tod, ich werde
nicht einfach tatenlos zusehen...«
»Nicht, um zu sterben!« antwortete Zane schnell. »Um nebenan für die Leute eine Hymne zu singen.
Für einen Mann, der bald sterben wird.«
Der Prediger nickte. »Ein Mensch hat ein Recht auf eine letzte Melodie. Wie heißt sie?«
» Heilig, heilig, heilig.«
»Die steht im Buch, aber wir singen sie nicht. Ist nicht unser Stil.«
»Dann finde mir eine Sängerin, die es versuchen will.«
Der Prediger wandte sich an den übenden Chor. »Jemand weiße Musik singen? Gesangbuchzeug?«
Als Antwort erhielt er ein verwirrtes verneinendes Murmeln.
»Hört mal zu«, sagte der Prediger. »Ihr kennt diesen Burschen in der Kapuze nicht, und das sollt
ihr auch gar nicht. Aber ich kenne ihn. Das Auge des Herrn ruht auf ihm, und er braucht
nur eine einzige Hymne, und wir müssen ihm so gut helfen, wie wir nur können. Wenn also
irgendeine von euch auch nur versuchen könnte, ihm den Gefallen zu tun, dann raus damit.«
Schließlich meldete sich ein ziemlich hübsches Mädchen, eine Teenagerin, zu Wort. »Manchmal singe
ich das Radiozeug mit, nur so zum Spaß. Ich schätze, ich könnte es mal versuchen, wenn ich den
Text kriege.«
Der Prediger wühlte in dem Schrank und holte einen Armvoll Gesangbücher hervor. »Den Text kriegst
du, Schwester. Komm schon, wir gehen diesem Burschen helfen. Dauert nicht lang.«
Zane nahm einige der Bücher auf und führte sie zu dem Pflegeheim, wo die Lebenden Blutklumpen
gerade ihre Anlage aufbauten, zur erheblichen Unterhaltung der Insassen und des
nichtprotestierenden Pflegers. Wahrscheinlich hatte es hier seit Jahrzehnten kein solches
Ereignis mehr gegeben.
Der Hauptraum schien von Kabeln und Lautsprechern und Instrumenten schier überzuquellen. »He,
stellt die großen Lautsprecher nicht hier drin auf«, sagte der Pfleger gerade. »In so einem
kleinen
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