Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
Neuheit, welche die
gähnende Langeweile linderte, an die sie gewöhnt waren. »Jeder darf tun, was er möchte - warum
wir nicht? Was ist denn gegen eine einzige Hymne einzuwenden?«
»Ich finde, die sollen Sie haben«, meinte Zane.
»Wir brauchen lediglich einen Plattenspieler, einen Kassettenrecorder oder eine magische
Musikbox.«
Skeptisches Murmeln. »Sie erlauben uns keine«, meinte ein weiterer Mann.
»Sie werden sie bekommen«, sagte Zane entschlossen. Er schritt zur Pflegestation, wo ein
Krankenpfleger gerade in einer populären Zeitschrift las. Auf der Rückseite war eine ganzseitige
Farbanzeige: DIE HÖLLE - NICHT NUR FÜR DIE BÖSEN! Hellorange Flammen umzüngelten eine Szene
fröhlicher Ausschweifung, und die Dee & Dee-Warenzeichenteufelchen taten etwas, das Zane
zusammenzucken ließ.
»Pfleger«, sagte er.
Der Pfleger blickte auf.
»Keine Musik gestattet. Hausvorschrift«, meinte er und widmete sich wieder seinem Magazin.
»Wir könnten eine Ausnahme machen«, sagte Zane. »Da ist ein Mann, der sterben wird, an einen
Stuhl gefesselt wie ein verurteilter Verbrecher. Sein letzter Wunsch wird ihm erfüllt
werden.«
»Sind Sie echt? Hauen Sie ab.« Der Mann hielt den Blick auf seine Illustriertenseite
geheftet.
Zane griff verärgert nach dem Magazin und riß es dem Pfleger aus den Händen. Dann beugte er sich
vor und sah dem Mann ins Gesicht. »Es wird Musik geben«, sagte er.
Der Mann wollte schon protestieren, doch als er dem Tod ins hohle Auge starrte, erstarrte er. »Es
gibt hier nichts«, murmelte er benommen. »Man würde mich feuern, wenn...«
»Dann werden wir es ohne Sie tun«, meinte Zane. »Sie können Ihren Protest für die Unterlagen
festhalten - aber passen Sie auf, daß er nicht zu heftig wird. Wir werden hier eine Hymne
spielen, ob Sie uns dabei unterstützen oder nicht.«
Er richtete den Finger auf die Nase des Mannes. In dem Todeshandschuh wirkte er
skelettartig.
»Verstanden?«
Der Pfleger erbleichte. »Sie werden doch niemandem wehtun? Ich halte mich bloß an die
Vorschriften, ich will keinen Ärger, aber ich will auch nicht, daß jemand zu Schaden
kommt.«
Der Mann besaß also doch noch so etwas wie ein dürftiges Gewissen. Er war zwar faul und
gleichgültig, aber nicht böse.
»Ein Mann wird sterben, wie es ihm bestimmt war. Sonst wird niemandem etwas geschehen.«
Der Pfleger schluckte. »Dann werde ich meinen Protest dem Antwortdienst des Besitzers mitteilen.
Meistens dauert es Ewigkeiten, bis sie mich erreichen, vor allem dann, wenn ein Notfall
vorliegt.« Er zog eine Grimasse. »Notfälle kosten nämlich Geld.« Er griff zum Telefon. »Aber es
gibt hier nichts, was man verwenden könnte, nicht mal ein Radio. Mein Boß meint, Schweigen sei
Gold, und Gold liebt er wirklich.«
Zane wandte sich ab, von diesem Besitzer angewidert.
Vielleicht würde dieser Typ sich eines Tages in der Hölle wiederfinden, wo er dann nach Gold
schürfen könnte. »Ich kümmere mich darum«, sagte er zu seinem Klienten und stellte den Countdown
ab. »Sie werden keine Schmerzen spüren, bis Sie Ihre Hymne bekommen haben.« Dann verließ er das
Pflegeheim.
Zuerst versuchte er es mit der Tanzhalle nebenan. Das Foyer war überfüllt mit Maschinen, die
Schokoriegel verkauften, billige Liebestränke - »GIB IHR DIES, UND SIE GIBT DIR ALLES!« - und
Pflaster gegen Blasen. Der Hauptsaal war leer, denn es war noch früh am Morgen. Auf der Bühne
standen einige verfilzte Teenager, die ihr Schlagzeug, ihre Gitarren und eine elektrische Orgel
mit ohrenbetäubendem Rhythmus dissonant bearbeiteten. Dies war Probenzeit, obgleich Zane nicht
einsah, wie derlei Getöse vom Üben auch noch würde profitieren können.
Zane trat näher und legte die Hand auf die größte Trommel.
Seine behandschuhten Finger ließen das Geräusch sofort ersterben. »Ich brauche einen Auftritt«,
sagte er.
Sofort hatte er ihre Aufmerksamkeit, obwohl sie nicht erkannten, um wen es sich bei ihm handelte.
»He, einen Gig? Wieviel?«
»Ein Lied, aus Wohltätigkeit, nebenan.«
Sie lachten. »Wohltätigkeit! Mister, hauen Sie ab und stecken Sie Ihre Schnauze in
Batteriesäure!« meinte der Schlagzeuger.
»Wir machen gar nichts für nichts.«
Zane richtete seinen mächtigen Blick auf den Jungen. »Ein Lied.«
Wie schon der Pfleger zuvor, erbleichte nun auch der Junge.
»Äh, na klar doch. Schätze, einen Song können wir ruhig versuchen, sozusagen zum Üben.«
»Eine Hymne«, sagte Zane.
Diesmal war das Lachen lauter,
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