Inkarnationen 02 - Der Sand der Zeit - V3
Offensichtlich hatte sie in der
Schwangerschaft zugenommen und sich nicht mehr die Mühe gemacht abzuspecken. Jetzt erinnerte sie
ihn an eine Kuh.
Orlene war immer sehr schlank gewesen, sogar während des Austragens; sie hatte weder an den
Oberschenkeln noch am Kinn Fettpolster gehabt. Bei Lila dagegen würde es nicht mehr lange dauern,
bis diese Unterscheidung eine rein theoretische war.
Doch es war noch mehr als das. In seinen Augen war Lila so etwas wie eine Hochstaplerin. Er
wußte, daß sie ein Recht hatte, hier zu sein; sie hatte die Aufgabe erledigt, für die man sie
angestellt hatte. Sie hatte Erfolg gehabt, wo Orlene versagt hatte, nämlich ein vollkommen
gesundes Baby zur Welt zu bringen, und sie verdiente Anerkennung. Doch sein Gefühl verweigerte
sich ihr. Er konnte diese Frau nicht berühren, ohne das Gefühl zu haben, Orlene untreu zu werden.
Mit wundem Herzen wandte er sich ab. Er wußte, daß er niemals hierher zurückkehren würde.
Als Gawain ihn wieder aufstöberte, befand er sich auf dem Mars. Er zog gerade durch den kalten
roten Sand, bewaffnet mit einem Planetenanzug und einem Atemgerät. Wie im Park auf der Erde
schritt das Gespenst plötzlich neben ihm. Gawain brauchte kein Atemgerät, er war in Hemdsärmeln.
Manchmal machte sich Norton auch darüber Gedanken. Gawain war doch sicher in voller Rüstung
umgekommen; warum trug er sie nicht mehr? Konnten Gespenster ihre Kleidung beliebig
wechseln?
»Hier gibt es wirklich nicht sehr viel zu sehen«, meinte Gawain. »Immer nur Sand, Sand und noch
mehr Sand. Warum sind Sie hier?«
»Weil es weit von der Erde entfernt ist«, erwiderte Norton mürrisch. »Es gefällt mir, neue Dinge
anzuschauen.«
»Und außerdem ist es schwerer für mich, Sie zu finden, nicht wahr?«
»Das auch.«
»Ich wette, Sie haben geglaubt, daß ich es nicht hierher schaffen würde, da die Magie keine
interplanetare Kraft ist.«
»Stimmt.«
»Sie haben aber vergessen, daß ich Zutritt zum Materietransmitter des Besitzes habe. Was mich
hierhergebracht hat, war die Wissenschaft.«
»Man lernt nie aus.«
»Und jetzt habe ich Sie wieder aufgespürt.«
»Das ist mir auch aufgefallen. Und nun hauen Sie bitte ab.«
»Noch nicht.«
»Gawain, Sie haben Ihr Baby! Wenn es schon kein männlicher Erbe ist, ein weiblicher genügt auch.
Warum ziehen Sie sich denn jetzt nicht in den Himmel zurück?«
»Na ja, genau genommen ist mir der Himmel nicht völlig sicher.«
»Oder wohin auch immer. Schlimmer als auf der Erde kann es ja wohl kaum sein, oder?«
Gawain zuckte die Schultern. »Vielleicht, vielleicht auch nicht. Aber ich werde noch nicht gehen,
denn meine Aufgabe auf der Erde ist noch nicht ganz beendet. Ich brauche einen männlichen Erben.
Das ist zwar keine juristische Frage, aber immerhin eine persönliche.«
»Dann vergeuden Sie hier nicht Ihre Energie! Suchen Sie sich einen anderen Bullen für Ihre
Kuh.«
»Oh, den habe ich ja, den habe ich ja, aber solche Sachen brauchen eben Zeit.«
»Soll das heißen, daß ich Sie jetzt weitere neun Monate am Hals habe?«
»Nicht ganz. Aber ich fühle mich schon für Sie verantwortlich.«
»Sie - für mich?«
»Ja, ich für Sie. Schließlich habe ich Sie in diese Lage gebracht. Ich kann es Ihnen nicht
verübeln, daß Sie sauer sind.«
»Das ist alles vorbei«, erwiderte Norton grimmig. »Sie haben es ja nicht böse gemeint.«
»Dennoch belastet es meine Seele.«
»Wie kann ein Gespenst eine Last auf seiner Seele haben? Ich dachte immer, ein Gespenst wäre eine Seele?«
»Ja. Deshalb hat die Last auch einen kräftigen Hebelpunkt. Ich spüre ihr Gewicht, das mich in die
Hölle hinabzieht.«
»Aber Sie waren doch für den Himmel bestimmt!«
»Ja, das war ich, im Augenblick meines Todes«, stimmte Gawain zu. »Aber es war knapp. Sie kennen
die Geschichte ja: Es ist leichter für ein Tau, durch ein Nadelöhr zu schlüpfen, als für einen
reichen Mann, in den Himmel zu kommen. Weil ich ein Mann von Ehre war, trotz meines etwas
anrüchigen Berufs, war ich mehr gut als böse - knapp. Aber als ich dann Ihr Leben zerstörte,
verschob sich mein Gleichgewicht ins Negative.«
»Ich dachte immer, daß sich das irdische Konto eines Menschen im Augenblick seines Todes
festschreibt. Ich meine, wenn die verdammten Seelen ihren Status nach dem Tode ändern könnten,
dann würden die doch alle wie die Wilden rummachen, um wieder in den Himmel zu kommen, nachdem
sie während des Lebens fröhlich gesündigt haben.«
»Sie haben recht, der
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