Inkarnationen 04 - Das Schwert in meiner Hand - V3
Frauen waren ihm aufgrund seines Ranges
zugeführt worden, und er hatte immer gedacht, daß sie ihn sicher gemieden hätten, wenn sie die
Wahl gehabt hätten. Doch hier in der Zirkustruppe suchten sich die Frauen selbst ihre Partner
aus. Nun gut, er hatte sowohl Pythia als auch der Meerjungfrau einen Dienst erwiesen, doch das
hatte er nicht mit dem Hintergedanken auf eine solche Belohnung getan.
Also mußte das Interesse dieser Frauen an ihm ehrlich gemeint gewesen sein - und dieser Gedanke
löste in seinem Kopf eine ungeheure Leichtigkeit aus. Vielleicht war sein Stottern doch nicht
eine solche Behinderung, wie er immer befürchtet hatte. Er gelangte zu der Erkenntnis, daß die
Zirkusgruppe ihm bereits jetzt mehr geschenkt hatte als Schutz und Zuflucht.
Sie erreichten Ahmedabad, eine weit ausgedehnte Stadt mit über einer Million Einwohnern. Der
Wanderzirkus erhoffte sich hier viele (und großzügige) Zuschauer; denn die Städter waren
kultivierter als die Dörfler und allem Neuen und Wunderlichen gegenüber aufgeschlossener.
Tatsächlich wurde schon die erste Vorstellung zu einem beachtlichen Erfolg. Der Prinzipal war am
Abend so begeistert, daß er jedem Darsteller einen Sonderbonus zukommen ließ.
Orb - typisch Frau - wollte in dieser Riesenstadt einen ausgedehnten Einkaufsbummel unternehmen.
Der Prinzipal konnte ihr diesen Wunsch nicht verwehren, bestand aber darauf, daß sie nicht allein
loszog. »Diebe gibt es in großen Städten mehr, als ich Haare auf dem Kopf habe«, murmelte
er.
»Mym könnte mich begleiten«, strahlte die Sängerin.
Der Prinzipal setzte wieder seine mürrische Miene auf, besann sich dann aber eines Besseren, als
ihm einfiel, wie geschickt Mym die Messer jongliert hatte. »Haltet Euch von allem fern, was Ärger
bringen könnte«, mahnte er. »Es gefiele mir gar nicht, auf einen Schlag zwei meiner wichtigsten
Künstler zu verlieren.«
So brach Mym also mit Orb zu einem Einkaufsbummel auf. Er freute sich über diese Gelegenheit, mit
ihr allein zu sein. Mym trug eine einfarbige Tunika und einen falschen Bart, der sein Äußeres
völlig verwandelte. Dennoch ging er ein Wagnis ein, die Stadt zu betreten; doch er sagte sich,
genausogut konnte ihn jemand bei einem seiner Auftritte wiedererkennen.
Orb war begeistert über das reichhaltige Warenangebot auf dem Markt. Sie spazierte von Stand zu
Stand, jauchzte vor Begeisterung über die wunderbaren Stoffe und Schmuckstücke und konnte sich
nicht entscheiden, was sie nehmen sollte.
Für Mym war der Ausflug kein reines Vergnügen.
Er sah sich ständig nervös um, und einmal spürte er eine Bewegung in seiner Innentasche. Er schob
die Hand hinein, fand den Schlangenring und steckte den kleinen Finger hindurch.
»Ä-Ä-Ärger?« murmelte er kaum hörbar.
Der Ring drückte einmal.
Mehr brauchte er nicht zu wissen. Er versuchte, Orb beiseite zu ziehen und sie zu warnen. Doch
sie war so abgelenkt von den schönen Sachen an den Ständen, daß sie ihn unwillig
abschüttelte.
Mym seufzte. Die Hand war noch immer in der Innentasche, denn er wagte es nicht, den Ring
herauszuholen. Ein Unfall? dachte er. Der Ring drückte zweimal.
Eine Hinterlist? Ein Druck.
Ein Raubüberfall? Dreimaliges Drücken.
Vergewaltigung? Ein Druck.
Mord? Ein Druck.
Thugs? Wieder ein Druck.
Jetzt mußte er Orb warnen. Er faßte sie fest am Arm und drückte härter, als er das normalerweise
getan hätte. Sie drehte sich zu ihm um, sah ihn an und begriff, daß etwas nicht stimmen konnte.
Er machte eine Kopfbewegung, die in die Richtung wies, aus der sie gekommen waren.
»Ist es schon Zeit, den Heimweg anzutreten?« fragte sie, und er nickte heftig.
»Meinetwegen«, sagte sie, »ich möchte mir nur noch dieses Stück hier genauer ansehen.«
Er versuchte, ihr begreiflich zu machen, daß selbst dafür keine Zeit mehr blieb, aber sie konnte
oder wollte ihn nicht verstehen. Da er ihr hier keine Szene zu machen wagte, wartete er
ungeduldig und spürte, wie der Ring nicht mehr drückte, sondern schon warnend pulsierte.
Orb hatte sich endlich entschieden und erstand das Stück. Sie kehrten zurück und nahmen diesmal
einen anderen Weg. Mym hoffte, so vielleicht den Thugs entkommen zu können. Doch sehr bald schon
bemerkte er, daß die Kerle ihre Verfolgung bereits begonnen hatten. Er fühlte sich von allen
Seiten beobachtet, und die Männer kamen immer näher. Sie waren hinter dem Geld her, das Orb so
offen herumgezeigt hatte. Und sie wollten wohl auch ihren
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