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Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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der Innenseite des Aktendeckels war eine Auflistung: 1) Kopie Protokoll über die Verhaftung wegen Mordverdachts . 2) Kopie Testament Adnan Shiktar . 3) Kopie Protokoll über die Verhaftung wegen schwerer Körperverletzung . 4) Kopie psychologisches Gutachten . 5) Kopie medizinische Untersuchung .
    Amaldi blättert sofort zum Protokoll über die Verhaftung wegen Mordverdacht. Schon nach wenigen Zeilen wurde ihm klar, dass die Anklage auf wackligen Füßen stand. Sie stützte sich allein auf Theorien, Vermutungen. Und als Motiv blieb da nur das Testament des Opfers, Adnan Shiktar, der Primo Ramondi all seinen Besitz hinterlassen hatte. Hier handelte es sich ganz eindeutig um Selbstmord. Zweifellos ein ungewöhnlicher Fall mit ganz besonderen Umständen, aber mehr auch nicht. Primo Ramondi und der verstorbene Adnan Shiktar hatten unter demselben Dach gewohnt. Über die Art ihres Zusammenlebens gab es wieder nur Vermutungen. Unterstellungen. Im Prinzip war die Anklage schon in sich zusammengebrochen, ehe sie überhaupt vorgetragen wurde. Damals war Primo Ramondi neunzehn gewesen. Heute war er sechsundzwanzig.
    Amaldi blätterte das Protokoll über die Verhaftung wegen schwerer Körperverletzung durch. Sie war erst ein paar Monate alt. Chefinspektor Palermo von der Sitte hatte die Festnahme durchgeführt. Auch in diesem Fall war die Anklage jämmerlich gescheitert. Diesmal aus ganz anderen Gründen. Die Hauptzeugen hatten ihre Aussagen zurückgezogen, besser gesagt, sie hatten die vielen Beschuldigungen, auf denen die Anklage basierte, weder bestätigt noch bestritten. Der Untersuchungsrichter war gezwungen gewesen, im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten zu verfahren und hatte daher gar keinen Prozess angestrengt. Der Richter hieß Emilio Boiron und war der gleiche, den jemand vor einigen Tagen mitten in der Nacht angerufen hatte. Der gleiche, den der Mörder, nachdem er ihn darüber informiert hatte, dass ein Mann getötet würde, Papa genannt hatte.
    Palermo beschuldigte Primo Ramondi, der geheimnisvolle Irre zu sein, der einigen Prostituierten, vier in den letzten beiden Jahren, Gesicht und Körper zerschnitten hatte. Die Wunden wurden als x-förmig beschrieben, ausgeführt auf einer Brust der Opfer – zwei oberhalb und eine knapp unterhalb der Brustwarze: der Täter hatte ein Papiermesser benutzt. Palermo hatte dem Bericht über die Untersuchung der vier Prostituierten in der Notaufnahme und den Protokollen über die Verletzungen noch die Protokolle von zwei früheren Fällen beigefügt, in denen es ebenfalls um Prostituierte ging. Sie waren, wenn auch auf andere Art, drei Jahre zuvor misshandelt worden. Keine x-förmigen Verletzungen, nur wahllos angebrachte Schnitte auf der Brust. Und ein noch weiter zurückliegender Fall, in dem jemand einer Prostituierten Schnitte beigebracht hatte, die von der Schläfe bis beinahe zum Nacken reichten.
    Amaldi begriff genau, warum Palermo wollte, dass er diese Akten las. In allen Fällen gab es beträchtliche Übereinstimmungen. Auch die Tatsache, dass Palermo so viele Informationen, die eigentlich vertraulich sein sollten, über den Mord an Ernst Garcovich bekannt waren, gehörte dazu und war seltsam. Aus den Protokollen, die der Chefinspektor der Sitte verfasst hatte, gewann Amaldi den Eindruck, dass dieser das Ganze geradezu persönlich nahm und die Angelegenheit verbissen verfolgte. Allerdings musste er zugeben, dass dies häufig geschah, wenn ein Ermittler auf einen Fall fixiert war oder auf einen Verdächtigen. Das war eine von vielen Begleiterscheinungen ihres Berufs. Es war nicht in Ordnung, aber es kam eben vor. Meist stellte sich heraus, dass der Ermittler richtiggelegen hatte.
    Amaldi nahm sich das psychologische Gutachten vor. Es war ungewöhnlich, dass bereits vor der Formulierung der Anklage aufgrund von sicheren Beweisen ein solches Gutachten erstellt wurde. Ganz offensichtlich hatte Palermo den Untersuchungsrichter – ebenfalls Boiron? – in dem Glauben gelassen, eines der Opfer, vielleicht auch alle vier, würde vor Gericht aussagen. Vielleicht war er selbst davon überzeugt gewesen oder er hatte sich eingebildet, er könnte Primo Ramondi ein Geständnis abpressen.
    Amaldi suchte nach dem Namen. Er kannte ihn. Der Gutachter hatte zwei je einstündige Gespräche mit Primo Ramondi geführt. Seine abschließende Diagnose lautete: Persönlichkeitsstörungen mit asozialer Veranlagung. Das war nicht gerade viel und bedeutete nur, dass Primo Ramondi ein Psychopath

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