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Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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unterstrich völlig darauf konzentriert das Wort »emotional« und dann das Wort »rational«.
    Ernst Garcovichs Mörder war kalt und rational.
    Amaldi fuhr mit dem Stift auf der Linie hin und her, die die beiden Wörter gleichzeitig verband und trennte.
    »Du wirst deinen Stift noch bis auf die Schreibtischplatte durchdrücken«, sagte Giuditta hinter ihm lachend.
    Da erst bemerkte Amaldi, dass er das Papier durchlöchert hatte.
    »Komm mit mir ins Bett, Commissario, oder willst du ganz allein hier sitzen bleiben?«, fragte ihn Giuditta.
    »Wenn du diesen Ton anschlägst, habe ich ja keine Wahl … Ich komme mit ins Bett.«
    Giuditta verschwand ins benachbarte Zimmer und schaltete dort das Licht aus. Amaldi hörte, wie sie unter die Decke glitt. Er ordnete die Papiere, legte sie in eine Schreibtischschublade und verschloss sie. Dann zog er sich aus, ließ seine Kleider einfach auf den Boden fallen und schlüpfte zu Giuditta ins Bett.
    Er hatte keine Angst mehr, mit ihr zu schlafen. Hatte keine Angst mehr, er würde sie beschmutzen.
    Knapp eine Stunde später, kurz vor dem Einschlafen, fuhr Amaldi Giuditta zärtlich durch ihre verstrubbelten Haare und fragte: »Würdest du mich als rational oder emotional einstufen?«
    »Ich bin müde … du bist ein fantastischer Liebhaber, falls es das ist, was du hören wolltest …«, sagte Giuditta mit schläfriger Stimme.
    »Ich meine es ernst. Hältst du mich für rational oder emotional?«
    Giuditta stöhnte. »Emotional …«
    »Bestimmt?«
    »Sicher … warum können wir jetzt nicht schlafen?«
    »Und hältst du es für möglich, dass ich irgendwann rational, berechnend und kalt werden könnte?«
    »Was ist denn mit dir los?«
    »Antworte mir bitte.«
    »Giacomo, dein ganzes Wesen ist emotional und wird es auf irgendeine Weise immer sein.«
    »Und ich könnte mich nicht verändern?«
    »Nein.«
    »Bestimmt nicht?«
    »Ganz bestimmt nicht.«

VIII
    Seine Stimme war ein Flüstern, wie damals, als er Angst gehabt hatte und nicht verstand, warum man ihm wehtat. Nur ein schwaches gleichförmiges Raunen, um seinen Gast im anderen, dunklen Zimmer nicht zu stören. Sie war leise, aber nicht zu gedämpft, denn er hatte das Bedürfnis, seine Stimme von außen an seine Ohren dringen zu hören, aus der äußeren Welt, als könnte sie so glaubhafter wirken. Als würde er damit die Aufgabe rechtfertigen können, die er sich gestellt hatte. Um sich nicht im Irrgarten seiner Argumentation, seiner Schmerzen und seiner Ängste zu verlieren.
    »Das Licht …«, sagte er leise zu sich selbst. »Ich muss es tun, um das verlorene Licht zu finden. Um jeden Tropfen dieses ausgebluteten Meeres aufzufangen. Damit die Wellen wieder seinen Namen in die Welt tragen können. Du bist der Wächter. Du bist der Diener. Du hast kein Recht, schwach zu sein, denn du bist nichts. Du bist nur das Gefäß. Du bist das Behältnis. Dein Leben ist sein Eigentum. Das Licht , das du in dir trägst, gehört nicht dir. Du bist die Dunkelheit, die dem Licht dient.«
    Vor vielen Jahren, als er noch nicht fähig war zu begreifen, hatte er ihm zugesehen, wie er für ihn sein Blut vergossen hatte, um ihm ein Leben zu sichern, das er eigentlich nicht verdient hatte. Er hatte diesen schwierigen Weg Schritt für Schritt verfolgt und so etwas in sich angesammelt, dessen ungeheuren Wert er damals noch nicht schätzen konnte. Tropfen für Tropfen, Funke für Funke hatte er dieses Licht in sich aufgenommen, das sich verzehrte und bald sinnlos verschwendet verlöschen würde. Denn sein Leben, das der andere gerettet hatte, hatte für sich genommen weder Sinn noch Wert. Er hatte es aus keinerlei Vernunftgründen, rein instinktiv getan. Wie von einem höheren Geist geleitet. Von einer Vision, die er jetzt zwar nicht verstand, die sich ihm aber eines Tages offenbaren und seinem Elend, seinen Sünden Sinn und Wert verleihen würde. Ihn von alldem Schmutz reinigen würde, da ihm Erlösung zuteilgeworden war. Das Licht hatte dem Diener all seine Gnade erwiesen, damit er seinen Lebenszweck darin finden und sich für den Herrn opfern konnte, um diese ungeheure, unverdiente Liebe zurückzugeben.
    Lange Zeit hatte er nicht begriffen, warum er diese Flamme in sich trug. Manchmal, wenn er sein eigenes erbärmliches Leben betrachtete, glaubte er, nicht einmal gewusst zu haben, dass er von diesem kostbaren Geschenk erfüllt war, von diesem Licht , das ihm nicht gehörte und dem Licht wieder zurückgegeben werden musste. Das war der Plan. Das war

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