Inkubus
waren, den alle im Revier nur »U-Boot« nannten, weil er unter der Wasserlinie des Hafens lag.
»Du hast es auf einen Rutsch zum Chefinspektor geschafft … gratuliere«, fing Palermo an.
»Als man Commissario Amaldi befördert hat, war da nun mal eine Lücke und die hat man dann mit mir gestopft. Das nennt man bürokratische Sogwirkung. Und, was willst du?«, fragte Frese.
»Kriegt ihr hier denn keine Platzangst so ganz ohne Fenster?«
»Na ja, schon. Angeblich wollen sie demnächst Bullaugen in die Wände einlassen, mit Blick auf das Hafenwasser. Vielleicht können wir dann ja ein paar wissenschaftliche Studien anstellen, was besser schwimmt, die Scheiße von Menschen oder die von Hunden. Also, was willst du, Palermo?«
»Seid ihr in dem Fall des Lehrers weitergekommen?«, fragte Palermo und drehte die mit einem Gummiband zusammengehaltene Akte in den Händen.
»Warum interessiert dich das so?«, fragte Frese, der nun auf der Hut war.
»Ich dachte eigentlich, dass sich Amaldi darum kümmert, aber den sehe ich hier nie«, sagte Palermo und vermied es, direkt auf Freses Frage zu antworten. »Ist er dafür zuständig?«
»Er und seine Abteilung«, ließ Frese ihn auflaufen.
»Geht es ihm gut?«
»Wem?«
»Amaldi.«
»Sehr gut, danke der Nachfrage«, antwortete Frese nun noch abweisender.
»Da hört man aber ganz andere Dinge. Es heißt …«
»Die Leute erzählen eine Menge gequirlte Kacke«, unterbrach ihn Frese. »… Hör endlich auf, dich um den Scheiß andere Leute zu kümmern. Du gehst mir auf den Sack mit deinem ›man hört‹. Man hört, dass Amaldi …. Man hört, dass der Lehrer … Möchtest du dich etwa um eine Stelle in der Abteilung Serienverbrechen bewerben? Nur zu! Wenn sie dich nehmen, kannst du alles wissen, was es zu wissen gibt, Palermo, bis dahin, leck mich doch!«, meinte Frese und wollte gehen.
Doch Palermo packte ihn am Arm. Sein Blick war hart. »Sag Amaldi, er soll das hier lesen«, meinte er und hielt ihm die Akte hin.
»Amaldi hat viel zu tun«, antwortete Frese und würdigte die Akte keines Blickes.
»Sag ihm, er soll sie lesen.« Palermo hielt jetzt die Akte so dicht vor ihn, dass er ihn damit beinahe berührte.
Frese machte keine Anstalten, sie zu nehmen. »Was zum Teufel willst du eigentlich, Palermo? Spuck’s schon aus, ich habe auch viel zu tun.«
»Die Verletzungen des Lehrers stammen von einem Papiermesser?«, fragte Palermo.
»Wir wissen noch nicht mit Gewissheit, welches Schneidwerkzeug benutzt wurde«, antwortete Frese ausweichend.
»Der Lehrer hatte x-förmige Einschnitte auf der rechten Brust?«
»Das war ein Mann, Palermo. Männer haben keine Titten.«
»Das heißt also ja.«
»Ich erinnere mich nicht …«
»Zwei X im oberen Bereich und eins unterhalb der Brustwarze.«
»Falsch.«
»Falsch? Verarsch mich doch nicht!«
»Wie du meinst. Man hört ja, du seist ein Experte für Ärsche«, erklärte Frese und grinste.
»Sehr witzig«, blaffte Palermo, und klatschte Frese die Akte gegen die Brust. »Sag deinem Chef, er soll das lesen!« Dann verschwand er.
Als der andere gegangen war, schaute sich Frese die Akte an. Auf dem Deckel stand ein Name: Primo Ramondi , und der Name war mit zwei wütenden roten Linien unterstrichen.
Amaldi streifte das Gummiband über den Rand der Akte, sodass es ihm wie ein Armreif über das Handgelenk glitt. Allerdings schlug er die Akte nicht gleich auf, sondern schob sie zunächst beiseite, ließ sie aber in Sichtweite auf seinem Schreibtisch liegen. Frese hatte sie ihm gerade zusammen mit einem Stapel anderer Dokumente gebracht, dem Ergebnis der Ermittlungen aus den vergangenen Tagen.
Der Name Primo Ramondi stand auch auf der Liste, die Max zusammengestellt hatte. Er war einer von Lehrer Garcovichs Schülern in der »Förderanstalt für sozial benachteiligte Kinder« gewesen, und zwar im Alter von neun bis dreizehn Jahren. Gleich nach der Aufnahme in der Anstalt hatte man ihn in die erste Grundschulklasse gesteckt. Damals konnte er weder lesen noch schreiben. Doch das war bei den Kindern, die auf der Straße aufwuchsen, die Regel. Und bei Kindern, die in Heimen wie diesen weggesperrt wurden. Was den Sozialarbeiter dazu bewogen hatte, hier das Eingreifen der Behörden zu fordern, war nicht ganz klar. Es sah fast so aus, als hätten die Eltern diese Entscheidung befürwortet. Die Mutter war eine mehrfach vorbestrafte Prostituierte. Der – mutmaßliche – Vater, ihr »Beschützer«, der wegen Förderung von
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