Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
Vom Netzwerk:
Kopf und schwieg.
    Frese spielte immer noch mit dem Zettel herum. »Max überrascht mich doch immer wieder«, sagte er nach einer Weile.
    Amaldi sah gedankenverloren vor sich hin. In seinem Blick lag Zweifel.
    »Erinnerst du dich an den Anruf, den Boiron erhalten hat?«, fuhr Frese fort. »Der Richter hat eine Rufnummernerkennung. Und er hat sich die Nummer notiert und sie in der Nacht dem Mann in der Funkzentrale mitgeteilt. Max hat das gesehen und recherchiert. Der Anruf kam aus einer Telefonzelle. Das ist die Adresse«, sagte er und gab Amaldi die Notiz. Dann zog er noch einen Zettel aus der Tasche. »Und das hier ist Primo Ramondis Adresse.« Er legte das zweite Blatt neben das andere. »Die gleiche Straße. Nein, das ist sogar direkt vor seiner Haustür.«
    Amaldi sah ihn immer noch an. Dann nahm er die beiden Zettel und studierte sie.
    »Er ist es, Giacomo«, sagte Frese. »Mir hat es auch Spaß gemacht, diesen Scheißkerl Palermo zu ärgern … aber das ist er. Primo Ramondi ist unser Mann.«
    Amaldi beobachtete, wie Palermos Wagen sich über die Küstenstraße entfernte. »Glaubst du etwa auch, dass ich zu nichts mehr zu gebrauchen bin, Nicola?«, fragte er ihn.
    »Nein …«, erwiderte Frese verlegen. »Aber bei den Indizien … da musst du doch selbst zugeben, dass … ach, Scheiße, Giacomo …«
    »Bin ich zu nichts mehr zu gebrauchen ?«
    »Nein.«
    »Du musst schon überzeugender klingen, Nicola!«
    Da erschien Giuditta in der Terrassentür, sie trug ein Tablett mit drei dampfend heißen Tassen Kaffee. »Möchtet ihr eine Pause machen?«, fragte sie lächelnd. »Ist dieser charmante Inspektor schon gegangen?«
    Weder Amaldi noch Frese antworteten ihr. Die beiden Männer starrten einander schweigend an.
    »Was ist denn hier los?«, fragte Giuditta ernst.
    »Denk darüber nach, Nicola«, sagte Amaldi leise, mit tonloser Stimme. »Und gib mir Bescheid. Ich bin bereit, mich von dem Fall zurückzuziehen. Aber wenn ich ihn weiterverfolgen soll … dann nur auf meine Weise.«
    Luz’ Augen schrien vor Schmerz. Sein engelsgleicher Mund zuckte krampfhaft. Er lief rastlos auf der Dachterrasse auf und ab. Dann ging er unentschlossen und ängstlich zu dem Verschlag seiner Tauben, blieb wenige Schritte vor den Metallgittern stehen, starrte vor sich auf den Boden, um nicht noch einmal das sehen zu müssen, was er vor einer Stunde entdeckt hatte. Er presste die Lippen noch heftiger aufeinander, um den Schrei zu unterdrücken, der aus ihm herausdrängte, drehte sich abrupt um und rannte beinahe zum entgegengesetzten Ende der Terrasse.
    Als Palermo die Tür zur Dachterrasse öffnete und ihn in diesem Zustand vorfand, erkannte er sofort, wie verstört Luz war. Er meinte diese Erschütterung förmlich in der Luft zu spüren, als ob dieses Leid sein Leid wäre. Luz rang krampfhaft nach Luft, stützte sich mit seinen langen, schlanken Armen an der Mauer ab, hielt den Kopf gesenkt, und sein ganzer Körper war angespannt. Er bemerkte Palermo zunächst nicht. So versunken schien er in seinen eigenen Schmerz zu sein.
    »Luz …«, sprach Palermo ihn leise an und versuchte dabei, die Sorge in seiner Stimme zu unterdrücken.
    Der junge Mann drehte sich um. Bemerkte ihn. Und schon während Luz die Hände von der Mauer löste, noch bevor er den ersten Schritt tat, öffnete sich sein Mund weit in einem stummen Schrei, seine Augen konnten den Schmerz nicht mehr zurückhalten und füllten sich mit Tränen. Er lief auf Palermo zu und warf sich in seine Arme, drückte ihn an sich, brachte kein Wort heraus, keinen Laut. Sein Mund öffnete sich zuckend, wie bei einem Fisch, der an den Strand gespült wurde und langsam erstickt.
    »Ich bin ja hier … ich bin ja hier …«, flüsterte ihm Palermo ins Ohr und erwiderte seine Umarmung. Er fühlte, wie Luz’ Tränen seinen Rücken hinabliefen und der bebende Kiefer des jungen Mannes krampfhaft versuchte, seine Schluchzer in Worte zu verwandeln. »Ruhig … Jetzt beruhige dich doch …«, sprach er weiter leise auf ihn ein, wobei er ihn ein wenig von sich weghielt, ihm zulächelte und ihm über den Kopf streichelte, genau über die Stelle mit der Narbe, diese gerade weiße Linie aus Fleisch, auf der seit zwölf Jahren keine Haare mehr wuchsen. Er wischte ihm mit den Daumen die Tränen ab, wobei er die weiche Haut kaum spannte, und dann zog er Luz’ Kopf an seine eigene Brust, lauschte, wie der andere allmählich weniger krampfhaft atmete, spürte, wie seine kräftigen Rückenmuskeln sich

Weitere Kostenlose Bücher