Inkubus
Unterleib, die Muskeln seiner Oberschenkel und die Zehen verkrampften sich, und er hatte die Augen weit aufgerissen. Seine Hände, die hinter dem Rücken gefesselt und an dem harten Stuhl festgebunden waren, öffneten und schlossen sich in konvulsiven Zuckungen. Der Eisendraht schnitt in die Haut der Handgelenke ein. Der Junge drehte immer weiter an der Schraube, die Arme des Instrumentes spreizten sich immer mehr und stemmten die Kiefer auseinander.
Dann hörte er durch den uringetränkten Lappen ein besonders lautes Stöhnen und einen trockenen Knall, als würde ein Gummiband reißen.
Immer noch keine Spur vom Licht .
Er drehte die Schraube in die andere Richtung, zog das Werkzeug heraus und holte den Lappen aus dem Rachen. Der Unterkiefer des Doktors hing schlaff herab. Sein Mund war ein Loch, aus dem Speichel tropfte. Er wimmerte leise, zu schwach, um zu schreien. Jetzt wirkte er wie ein altes Kind.
Der Junge steckte den grünen Apfel zwischen diese Kiefer, die niemanden mehr beißen würden, und fing an, den Draht in der Wäscheleine bloßzulegen, entfernte ganz mechanisch die Plastikummantelung, bis er auf den Stahlkern stieß. Es war Zeit, alles vorzubereiten.
Er hatte sich ausgezogen und wandte seinem Opfer den Rücken zu. Er wirkte erschöpft.
Das Blut erkaltete auf ihm wie ein eisiges, zu enges Gewand.
»Eins … zwei … drei … vier … fünf … sechs … sieben … acht … und neun«, murmelte er und zählte sein Alter an seinen Fingern ab. Als könnte er nicht weiter zählen. Als ob die ganze Welt in diesen neun kleinen Zahlen enthalten wäre.
Er war nur ein Junge.
Doch eins blieb ihm noch zu tun.
Im Gedenken an den ersten.
Er grub seine Zähne in das Fleisch.
In das der ersten, verzweifelten Liebe seines kurzen Lebens.
Er war doch erst neun Jahre alt.
IX
Es war früher Vormittag. Die Mütter hatten ihre Kinder schon bei Giuditta abgeliefert. Alle hielten sich in der Küche auf und aßen etwas. Die Kinder lachten und kreischten.
Amaldi starrte auf die Küstenstraße.
Er bemerkte zwei Wagen, die hintereinander her fuhren. Erst waren sie nur winzige Punkte, die hinter dem Berg auftauchten und wieder verschwanden, verschluckt von Tunneln und engen Kurven. Doch dann waren sie deutlicher zu erkennen. Wurden größer. Man konnte das Geräusch ihrer Motoren hören. Und schließlich parkten sie hinter dem Haus.
Amaldi ging zur Tür.
»Ihr kennt euch?«, fragte Frese und deutete auf Palermo, der hinter ihm stand.
»Vom Sehen«, meinte Amaldi.
»Vom Hörensagen«, sagte Palermo.
Amaldi wandte sich um und ging zur Terrasse. Frese und Palermo folgten ihm.
Da kam ein Kind aus der Küche.
»Na sieh mal an, wer da ist … hallo Stöpsel«, begrüßte ihn Frese lächelnd und beugte sich zu ihm herunter, um ihn zu streicheln. »Wie geht es deiner Mama?«
Der Junge wich ihm aus, schaute Hilfe suchend zwischen den anderen beiden Erwachsenen hin und her, bevor er zu Palermo lief und sich hinter ihm versteckte. Amaldi erstarrte, weil er Giuditta kommen hörte. Palermo ging in die Knie und lächelte den Jungen an.
»Ciao …«, sagte er freundlich.
»Ciao«, antwortete der Junge und erwiderte sein Lächeln, dann umarmte er Palermo, als sollte der ihn vor Frese beschützen.
»Ach hier bist du, du kleiner Herumtreiber«, sagte Giuditta.
Das Kind drängte sich noch enger an Palermo. Seine Augen blitzten trotzig auf.
»Du solltest jetzt besser mit deiner Mutter gehen«, meinte Palermo.
»Das ist nicht seine Mutter«, mischte sich Frese ein.
»Magst du einen Keks?«, fragte Giuditta.
»Los, geh schon!«, ermutigte ihn Palermo mit ruhiger, tröstlich wirkender Stimme.
Daraufhin löste sich der Junge aus der Umarmung und ließ sich von Giuditta an der Hand nehmen.
»Er mag Sie«, sagte sie.
»Und ich mag ihn«, erwiderte Palermo lächelnd.
»Sie können gut mit Kindern umgehen.«
»Sagen wir einfach, wir verstehen einander. Das ist alles.«
»Chefinspektor Palermo«, mischte sich Amaldi in ihr Gespräch. »Und das hier ist Giuditta Luzzatto.«
»Angenehm …«, meinte Palermo.
Giuditta lächelte ihm zu, dann kehrte sie zusammen mit dem Kind in die Küche zurück.
Amaldi, Frese und Palermo gingen zu dem Tisch auf der Terrasse und setzten sich um ihn herum.
»Du wolltest mit mir reden?«, begann Amaldi.
»Es gibt zwei Neuigkeiten im Fall Ramondi«, meinte Palermo als Erstes. »Eine ist, dass dieses Stück Scheiße angefangen hat, sie zu fressen …«
»Was heißt ›sie zu
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