Inkubus
nach und nach entspannten. Dann, als Luz’ an ihn gelehnter Körper schlaff wurde, packte er ihn brutal auf Höhe der Brust und drückte ihn mit aller Kraft an sich. Er konnte Luz’ Wirbel knacken hören und spürte die Rippen, die gegen seine drückten und die Luft aus seinen Lungen pressten. Er drückte zu, bis der Junge leise stöhnte. Dann ließ er ihn los. »Und jetzt atme ein …«, sagte er und hielt dieses wunderschöne Engelsgesicht zwischen seinen Händen. »Los … atme schön tief durch …«, fuhr durch Luz’ zerzauste Haare und versteckte die Narbe darunter.
»Ich dachte schon, du kommst nicht mehr … Ferrante«, sagte Luz. Seine raue Stimme war jetzt nur noch ein Flüstern. Er war so erschöpft wie nach einer großen Anstrengung. Die Anspannung dessen, was ihn quälte, war aus seinem Körper gewichen.
Palermo lächelte ihm zu. »Ich bin ja da«, meinte er. »Jetzt bin ich ja da.«
Luz warf sich ihm noch einmal in die Arme, küsste ihn ganz in seinen Schmerz verloren noch einmal auf den Hals und dann suchten seine Lippen den Mund des geliebten Menschen.
»Was ist passiert?«, fragte Palermo, während er sich aus der Umarmung löste und auf Abstand ging.
Luz wandte sich dem Taubenschlag zu, und als er Palermo wieder ansah, standen ihm erneut Tränen in den Augen. Er zog die Nase hoch und deutete mit dem Finger auf ein kleines unregelmäßiges Loch, rechts von ihnen in der Mauer. »Ich hätte sie umbringen können …«, fing er an. »Aber … aber …«, dann wandte er sich wieder dem Taubenschlag zu und schluchzte unterdrückt. Er wandte sich von Palermo ab und trat an die zugemauerte Brüstung der Terrasse.
Palermo ging zu ihm, blieb schweigend neben ihm stehen und versuchte, Luz’ Blick zu folgen. Der Schirokko peitschte ihm mit seinem schwülfeuchten Atem heftig in sein Gesicht. Tief unten wirkten die dunklen Straßen wie Felsspalten zwischen den Wohnhäusern. Und dahinter, verhüllt von den stinkenden Ausdünstungen der Stadt, lag der blaue Streifen des Meeres. Und dahinter wiederum die weite Leere des Horizonts.
»Bleib hier stehen«, sagte Palermo nach einer Weile und streichelte Luz über den Rücken.
Palermo sah, dass die Hände des jungen Mannes die Brüstung umkrampften, und nickte.
Dann ging er zum Taubenschlag.
Das Türchen mit dem Metallgitter stand offen und der Schirokko drehte es leicht hin und her. Auf dem Boden lagen Federn. Schwungfedern, an deren Enden noch ein Rest Fleisch hing. Kleine, leichte Halsfedern. Sie waren rot. Blutflecken. Auf dem Boden trockneten die Überreste von einem zerbrochenen Ei ein. Überall Chaos. Die Nester umgekippt und durchwühlt. Ratten. Eine Horde Ratten hatte hier gewütet. Keines der Taubenküken hatte ihren Angriff überlebt. Sogar eines der erwachsenen Tiere hatten sie umgebracht und aufgefressen. Der Schirokko wirbelte Kot und stinkende Körperteile in die Luft. Bis auf einen Vogel war der Taubenschlag leer, ein ziemlich unscheinbar wirkendes Weibchen, das völlig verloren auf diesem Schlachtfeld herumirrte. Es scharrte mit seinen roten Füßen im Stroh. Und hielt mit starrem Blick nach seinen Jungen Ausschau.
Luz tauchte hinter Palermo auf und steckte einen Arm in den Verschlag. Die Taube flatterte auf seine Hand. Luz hielt sie an seine Brust.
»Warte unten«, sagte Palermo. »Ich kümmere mich darum.«
»Ich hätte eine töten können …«, wiederholte Luz und drehte sich zu dem Loch in der Mauer um. »Als sie mich hörten, sind sie alle abgehauen … Aber die eine war nicht schnell genug … Sie hatte eine Taube im Maul … eine von denen, die in der vergangenen Woche geschlüpft sind. Ich hätte sie mit dem Fuß zertreten können … Sie ist stecken geblieben … Das Vogeljunge in ihrer Schnauze passte nicht durchs Loch … Sie hatte ihm den Kopf abgebissen …«, Luz zeigte auf einen winzigen dunklen Klumpen auf dem Boden, den Palermo noch nicht bemerkt hatte. »Ich hätte es tun können …« Er sah ihn schmerzerfüllt an. »Ich hatte Angst … Angst, dass ich dann noch mehr leiden würde … wenn ich sie getötet hätte …« Luz ging auf Palermo zu und küsste ihn auf die Wange. »Danke, Ferrante …«, sagte er, dann drehte er sich um und ging auf die Tür zum Treppenhaus zu. Bevor er verschwand, ließ er die Taube fliegen.
Der Vogel zog einen weiten Kreis, kam zurück und setzte sich in die Nähe des Taubenschlages. Palermo hob eine Hand voll Körner auf und warf sie ihm hin. Die Taube pickte sie nicht auf. Blieb auf
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